Übersicht

Das Paradies.

Fünfundzwanzigster Gesang.

1 Zwäng' einst dies heil'ge Lied, zu dem die Erde,
Zu dem der Himmel mir den Stoff gereicht,
Durch das auf lang' ich blaß und mager werde,
4 Die Grausamkeit, die mich von dort verscheucht,
Wo ich, ein Lamm, geruht in schöner Hürde,
Jedwedem Wolfe feind, der sie umschleicht,
7 Mit anderm Ton und Haar, als Dichter, würde
Ich kehren, und am Taufquell dort empfahn
Im Lorbeerkranz der Dichtung höchste Würde.
10 Denn dort betrat ich jenes Glaubens Bahn,
Durch welchen Gott bekannt die Seelen werden,
Für den mir Petri Licht die Stirn umfahn1-12
13 Da naht' ein Licht aus der der sel'gen Heerden,
Aus der der Erste derer vorgewallt,  14
Die Christ als Stellvertreter ließ auf Erden.
16 Beatrix sprach, umstrahlt die Lichtgestalt
Von neuer Lust: "Sieh, Ihn sich zu uns neigend,
Den Herrn, für den man nach Gallizien wallt."  18
19 Wie wenn die Taub', aus hohen Lüften steigend,
Zur Taube fliegt, wie sich das Paar umkreist,
Und fröhlich girrt, die heiße Liebe zeigend;
22 So wars, wie jetzo der und jener Geist
Der hohen Fürsten freudig sich empfingen,
Lobend die Kost, die man dort oben speist.
25 Dann standen nach dem Freudentanz und Singen
Die beiden Lichter schweigend vor mir dort,
So feurig, daß die Augen mir vergingen
28 Und selig lächelnd fuhr Beatrix fort:
"Der du geschrieben hast, erlauchtes Leben,  
Was gut sei, komm' allein von diesem Ort,  29-30
31 O laß dein Wort die Hoffnung hier erheben;
Du stellst ja, wie du weißt, so oft sie vor,
Als Jesus sich den Dreien kund gegeben." -   33
34 "Du, fasse Muth - das Antlitz heb empor!
An unserm Strahl muß reifen der Beglückte,
Der von der Erde kommt zum sel'gen Chor."  34-36
37 Als so das zweite Feuer mich erquickte,
Hob ich die Augen zu den Bergen auf,  38
Vor deren Last ich erst das Antlitz bückte,
40 "Läßt unsers Kaisers Gnade deinen Lauf,
Bevor du stirbst, zu seinem Hofe gehen,
Führt er zu seinen Grafen dich herauf,  40
43 Um, wenn du hier das Wahre klar gesehen,
Die Hoffnung, die euch dort im Herzen blüht,
In dir und Andern heller anzuwehen,
46 So sage, was sie ist? ob im Gemüth
Sie dir entkeimt? woher du sie entnommen?"
Das zweite Feuer sprach's, in Licht entglüht.
49 Und Sie, durch die in mir die Kraft entglommen
Zum hohen Flug, war mit der Antwort schon
In diesen Worten mir zuvorgekommen:
52 "Die Kirche, die da kämpft, hat keinen Sohn  52
Von stärkrer Hoffnung - also zeigt's geschrieben
Die Sonn' auf unsres Freudenreiches Thron.
55 Drum aus Aegypten nach des Herrn Belieben
Kommt er nach Zion, wo das Licht ihm tagt,
Eh' ihm des Kampfes Ende vorgeschrieben.
58 Zwei andre Punkt', um die du ihn befragt,
Nicht um zu wissen, nein, damit er sage,
Wie diese Tugend dir noch hier behagt,
61 Lass' ich ihm selbst; denn nicht, wie jene Frage,
Sind sie ihm schwer, nicht Reiz zur Prahlerei!
Und helf' ihm Gott, daß er sie würdig trage."
64 Dem Schüler gleich, der seinem Meister frei
Entgegenkommt, und freudig und besonnen,
Daß, was er weiß, kund in der Antwort sei,
67 Sprach ich: ""Die Hoffnung ist der künft'gen Wonnen
Erwartung und gewisse Zuversicht,
Durch Gnad' und früheres Verdienst gewonnen.
70 Von vielen Sternen kam mir dieses Licht;
Der höchste Sänger macht es mir entbrennen,
Der im Gesang vom höchsten Horte spricht.""  72
73 "O, Alle die, so deinen Namen nennen,
Hoffen auf dich" - so sang der Gottesmann -
"Und wer, der glaubt, wie ich, sollt' ihn nicht kennen?
76 Du träufeltest mit seine Tropfen dann
Ins Herz durch deinen Brief mit solchem Regen,
Daß ich die Flut auf Andre gießen kann."  78
79 Indem ich sprach, sah ich's im Licht sich regen,
Und wie ein Blitz, schnell und wom Glanz umsprüht,
Mit zitterndem Gefunkel sich bewegen.
82 "Die Liebe," weht es, "die mich noch durchglüht
Für jene Tugend, welche mir durch's Grauen
Des Kampfs gefolgt, bis mir die Palm' erblüht,
85 Heißt mich durch sie dich letzen und erbauen,
Und gern vernehm' ich dieses noch von dir:
Auf was heißt deine Hoffnung dich vertrauen?"
88 ""Die alt' und neuen Schriften zeigen mir,""
Sprach ich, ""das Ziel, das denen Gott bescheidet,
Die er geliebt, und dieses seh' ich hier.
91 Jesajas zeigt', vom Doppelkleid bekleidet,  91
Sie All' in ihrem Land - und dieses Land
Das süße Leben ist's, das hier euch weidet.
94 In denen, so, die Palmen in der Hand,  94
In weißen Kleidern vor dem Lamme stehen,
Macht's klarer noch dein Bruder mir bekannt. - "
97 Bevor ich schloß, erscholl es aus den Höhen:
Ihr Hoffen sei auf dich! - und aus dem Tanz
Der Sel'gen hört' ich die Erwied'rung wehen.
100 Dann zwischen beiden drin entglüht' ein Glanz,  100
So hell, daß, wär' dem Krebs ein solcher eigen,  101-102
Es würd' ein Wintermond zum Tage ganz.
103 Wie froh aufsteht, und geht und in den Reigen
Die Jungfrau tritt, aus eitelm Triebe nicht,
Nur der Verlobten Ehre zu erzeigen;
106 So schwebte zu den Zwei'n das neue Licht,
Die ich so eilig in lebend'gem Kreise
  Sich schwingen sah, wie's heißer Lieb' entspricht.
109 Einstimmt' es zu dem Lied und zu der Weise;
Und, gleich der Braut, sah sie die Herrin an,
Stillschweigend, unbewegt bei solchem Preise.
112 "Er ruht am Busen unsers Pelikan;  112
Ihn hat der Herr zur großen Pflicht erlesen,  113
Als er den Martertod am Kreuz empfahn."
115 Sie sprach's; ihr Blick war wie er erst gewesen;  115
Nicht mehr Aufmerksamkeit war jetzt darin,
Als erst, bevor sie dies gesagt, zu lesen,
118 Wie der, der nach dem Sonnenrande hin,
Der sich verfinstern soll, die Blicke sendet,
Und, um zu sehn, verliert des Auges Sinn;
121 So stand ich, zu dem letzten Glanz gewendet.
Da klang es: "Was nicht ist an diesem Ort,
Was suchst du's hier, und stehst drum hier geblendet?
124 Mein Leib ist jetzt noch Erd' auf Erden dort,
Und bleibt's mit Andern, bis die sel'gen Schaaren
Die Zahl erreicht, gesetzt vom ew'gen Wort.
127 Zum Himmel sind zwei Lichter nur gefahren,  127
Bekleidet mit dem doppelten Gewand:
Und dieses laß einst deine Welt erfahren."
130 Als dieses Wort gesprochen war, da stand  130
Der Kreis der Flammen still, sammt dem Gesange,
Zu welchem sich dreifaches Wehn verband,
133 Gleichwie nach Müh'n und schwerem Wogendrange
  Die Ruder, so die Flut durchwühlt, zugleich
  Allsämmtlich ruhn bei einer Pfeife Klange.
136 Ach, wie ward ich vor Angst und Sorge bleich,
Als ich mich nun zu Beatricen kehrte,
Und, zwar ihr nah' und im beglückten Reich,
139 Doch sie nicht sah, die ich zu sehn begehrte.  139

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Sechsundzwanzigster Gesang

Anmerkungen:

1-12 Die Zufriedenheit des heiligen Petrus mit seinem Glauben führt den Dichter im Geiste zurück zu dem Orte, wo er in diesen Glauben eingeweiht wurde, zu der geliebten Vaterstadt. Er hofft, der Ruhm, den er durch sein Gedicht sich erworben, werde seine Zurückberufung aus dem Exil bewirken - an der Stelle, wo er getauft worden, werde er mit dem Lorbeerkranze bekrönt werden. Mit welcher schönern Erden-Hoffnung konnte er den Gesang einleiten, der von der höhern Hoffnung spricht? Wie konnte er rührender seine Sehnsucht nach Florenz ausdrücken, als indem er durch den Gedanken an das höchste himmlische Gut, das er jenseits hoffte, sich auf das schönste irdische Gut leiten ließ, das diesseits seinem Sehnen und seiner Hoffnung vorschwebte?
- Mit anderm Ton und Haar etc. Wahrscheinlich: Nicht mehr strebend nach Einfluß im Staat, sondern nur der Dichtkunst mich weihend, und wenn nicht vor Alter, doch vor Kummer vor der Zeit ergraut.

14 Der Erste, Petrus.

18 Den Herrn, den Apostel Jacobus, dessen Grab in Campostella in Gallizien, einen berühmten Wallfahrtsorte, sein soll.

29-30 Im Orig.: Erlauchtes Leben, durch welches die Freude (oder auch, nach einer Variante, der Ueberfluß, der Reichthum) unsers königlichen Palastes (oder auch unsers Haupttempels) beschrieben worden ist.- Nach beiden Lesarten wird wohl in der Uebersetzung der Gedanke, seinem Wesen nach, ausgedrückt sein. Die Stelle bezieht sich nach den Auslegern auf die Ep. Jacobi Kap. 1 V. 5: "So aber Jemand unter euch der Weisheit ermangelt, der bitte von Gott, der da giebt einfältiglich Jedermann, und rückt es Niemandem auf." - Noch bezeichnender scheint dem Uebersetzer V. 17: "Alle gute Gabe, und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung, noch Wechsel des Lichts und der Finsterniß."

33 Die drei vertrautesten Jünger Christi, die auch bei seiner Verklärung sich gegenwärtig befanden, waren Petrus, Jacobus und Johannes. Von diesen stellt der erste den Glauben, der zweite die Hoffnung, der dritte die Liebe vor. 

34-36 Worte des Jacobus.

38 Den Bergen, den Aposteln, weil sie hoch ragen in Glauben und Gnade.

40 Unser Kaiser - Gott, seine Grafen, die Vornehmsten der Seligen.

52 Auf die zweite der V. 46-48 enthaltenen Fragen: Wie (ob kräftig oder schwach?) sie im Gemüth des Dichters entkeimt sei? antwortet Beatrix. Denn er würde sich selbst loben müssen, wenn er sagen wollte, daß seine Hoffnung fest sei, da diese, wie V. 69 ausgesprochen ist, nicht nur durch Gnade, sondern auch durch früheres Verdienst des Hoffenden gewonnen wird.

72 ff. Im Gesang, Ps. 9 V. 11.

78 Daß ich auch in Andern die Hoffnung entflammen kann.

91 Jesaias Kap. 61 V. 7: "Denn sie sollen Zwiefältiges besitzten in ihrem Lande; so sollen ewige Freude haben." Unter dem doppelten Kleide versteht der Dichter, wie er selbst V. 128 kund thut, die Seele und den Körper, nach deren Vereinigung, wie früher gelehrt worden, die Wonne der Seligen erst vollkommen wird.

94 Dein Bruder, Johannes, in der Offenbarung Kap. 7 V. 9.

100 Ein Glanz, der Selige, der eben erscheint, ist Johannes der Evangelist.

101-102 Das Sternbild des Krebses steht im Winter, wenn die Sonne im Zeichen des Steinbocks steht, einen Monat in der Nacht am Himmel, daher, wenn am Tage die Sonne, in der Nacht das Sternbild des Krebses so hell wie das hier aufgehende Licht leuchtete, dieser Monat ein ununterbrochener Tag sein würde.

112 Pelikan. Dieser Vogel soll, wenn seine Jungen von einer Schlange getödtet worden, sich selbst mit seinem Schnabel in der Seite verwunden, um sie mit seinem Blute wieder ins Leben zu bringen. Daher hier unser Pelikan, für Christus.

113 Johannes erhielt vom Kreuze herab den Befehl Christi, an seiner Statt Mariens Sohn zu sein. (Ev. Johannis Kap. 19 V. 26 und 27.)

115 Aus den Worten Christi Ev. Johannis Kap. 21 V. 22: "So ich will, daß er bleibe bis ich komme, was gehet es dich an?" und dem, was im heiligen Texte nachfolgt, haben mehrere Ausleger der Schrift gefolgert, daß heiligen Texte nachfolgt, haben mehrere Ausleger der Schrift gefolgert, daß Johannes bis zum Weltgericht nicht sterben könne. Dante sieht daher neugierig hin, um zu erforschen, ob er hier mit dem Körper sei. Beatricen aber, welche von der Wahrheit unterrichtet ist, kann dies keine Veranlassung zu besonderer Aufmerksamkeit sein.

127 Zwei Lichter, Christus und seine Mutter.

130 Die Kreisbewegung und der Gesang, zu welchem die aus den Flammen wehenden Töne der drei Heiligen sich verbunden hatten, hören so genau in demselben Augenblick auf, wie der Ruderschlag auf das gegebene Zeichen. Auch hier, wie anderwärts, deutet diese Uebereinstimmung auf völlige Gleichheit des Willens.

139 Der Grund, aus welchem er Beatricen nicht sieht, ist die im folgenden Gesange näher erläuterte plötzliche Erblindung vor dem Schimmer des Johannes, welchen er, nach V. 118-121, zu scharf betrachtet hatte. Hierin scheint die Lehre zu liegen, daß man in der Religion nicht nach dem minder Wesentlichen forschen soll, wie Dante nach dem Körper des Johannes, weil sonst der Blick geblendet wird, und die wahre Weisheit ihm verschwindet, die nur durch Glauben, Liebe und Hoffnung offenbar wird. (Vergl. Anmerk. zu Ges. 25 V. 76.)