Das Paradies. |
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Zweiundzwanzigster Gesang. |
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1 | Ich kehrte mich, vom Staunen überwunden, |
Zu meiner Führerin, gleich einem Kind, | |
Das Hülfe sucht, wo's immer sie gefunden. | |
4 | Sie sprach, der Mutter gleich, die sich geschwind |
Zum Knaben kehrt, der athemlos beklommen | |
In ihrer Stimme frischen Muth gewinnt: | |
7 | "Bedenk's, dich hat der Himmel aufgenommen, |
Wo Alles heilig ist, wo heißem Drang | |
Gerechten Eifers, was geschieht, entglommen, | |
10 | Wie dich mein Lächeln, wie dich der Gesang |
Verwandelt hätten, wirst du jetzt verstehen, | |
Da jener Ruf dich so mit Graus durchdrang. | |
13 | Verstündest du das drin enthalt'ne Flehen, 13 |
So wäre dir die Rache schon erklärt, | |
Die du noch wirst vor deinem Tode sehen. | |
16 | Von droben fällt zu frühe nicht das Schwert, |
Und nicht zu spät, wie's dem scheint, der mit Grauen | |
Es harrend fürchtet, oder es begehrt. | |
19 | Jetzt blicke nur auf Andres mit Vertrauen; |
Sieh dortenhin: du wirst in großer Zahl | |
Dort hochberühmte sel'ge Geister schauen." | |
22 | Ich sah, den Blick gewandt, wie Sie befahl, |
Wohl hundert Kreise, welche Funken sprühten, | |
Verschönert von dem gegenseit'gen Strahl. | |
25 | Wie auch in mir der Sehnsucht Stacheln glühten, |
Doch wagt' ich keine Frag' und hieß sie ruhn, | |
Um vor zu großer Kühnheit mich zu hüten. | |
28 | Die größte hellste Perle nahte nun, |
Um jenem Wunsch, den sie in mir ergründet, | |
Mit süßem Liebeswort genug zu thun. | |
31 | "Wenn du die Liebe säh'st, die uns entzündet," |
So sprach die Stimme jetzt aus jenem Licht, | |
"Du hättest, was du denkst, mir frei verkündet. | |
34 | Doch horch, auf daß du, harrend, später nicht |
Zum hohen Ziel gelangest, und ich deute | |
Dir, was zu fragen dir der Muth gebricht. | |
37 | Des Berges Höh', an dessen Abhang heute 37 |
Cassino liegt, war einst Versammlungsort | |
Für viel Betrüger und betrogne Leute. | |
40 | Der Erste, nannt' ich dessen Namen dort, |
Der jene Wahrheit, die uns hoch erhoben, | |
Der Erde bracht' in seinem heil'gen Wort. | |
43 | Und solche Gnade glänzt' auf mich von oben, |
Daß ich das Land umher vom Dienst befreit, | |
Der mit verruchtem Trug die Welt umwoben. | |
46 | Wer hier glänzt, lebt' einst in Beschaulichkeit, |
Und Keiner ließ in sich die Flamm' erkalten, | |
Die Blüthen treibt und heil'ge Frucht verleiht. | |
49 | Sieh des Maccar, des Romuald Lichtgestalten, 49 |
Sieh meine Brüder, die im Klosterbann | |
Den Fuß gehemmt und fest das Herz gehalten." | |
52 | ""Dein liebevolles Wort,"" so hob ich an, |
""Und diese Freundlichkeit, die es begleitet, | |
Die ich an jedem Glanz bemerken kann, | |
55 | Sie haben also mein Vertrau'n erweitet, |
Wie Sonnenschein die Rose, welche sich, | |
So weit sie kann, erschließet und verbreitet. | |
58 | Und, so vertrauend, Vater, bitt' ich dich, |
Dich meinen Blicken unverhüllt zu zeigen, 59 | |
Ist solche Gnade nicht zu groß für mich."" | |
61 | "Wenn so hoch," sprach er, "deine Wünsche steigen, |
Beut dir der letzte Kreis Erfüllung dar. 62 | |
Durch sie wird jeder Wunsch, auch meiner schweigen. 63 | |
64 | Dort wird vollkommen, reif und ganz und wahr, |
Was nur das Herz ersehnt - und dort nur findet | |
Sich jeder Theil da, wo er ewig war, | |
67 | Weil jener Kreis sich nicht im Raum befindet; |
Doch unsrer Leiter Höh' erreichet ihn, 67-68 | |
Daher sie also deinem Blicke schwindet. | |
70 | Als sie dem Jacob einst im Traum erschien, |
Sah er die Spitze bis zum Himmel streben, | |
Und drauf die Engel auf- und niederziehn. | |
73 | Jetzt mag man nicht den Fuß vom Boden heben, |
Um sie zu steigen, und bei Schreiberei'n | |
Bleibt an der Erde träg' mein Orden kleben. | |
76 | Denn Räuberhöhlen sind, was einst Abtei'n, |
Und ihrer Mönche weiße Kutten pflegen | |
Nur Säcke, voll vom dumpf'gem Mehl, zu sein. | |
79 | Kein Wucher ist so sehr dem Herrn entgegen, |
Als jene Frucht, worauf die Mönch erpicht, 80 | |
Drob sie im Herzen solche Thorheit hegen. | |
82 | Das, was die Kirche wahrt, gehört nach Pflicht |
Den Armen nur zur Lind'rung der Beschwerden, | |
Nicht Vettern, noch auch schlechterem Gezücht. | |
85 | Schwach ist des Menschen Fleisch, so daß auf Erden |
Ein guter Ursprung nicht genügen kann, 84 | |
Bis Eichensprossen Eichenbäume werden. 85-87 | |
88 | Petrus fing ohne Gold und Silber an, |
Und ich begann mit Fasten und mit Flehen, | |
Franz seinen Orden als ein nied'rer Mann. | |
91 | Willst du nach eines Jeden Ursprung spähen, |
Dann sehn, wie ihn verführt der Uebermuth, | |
So wirst du Schwarzes statt des Weißen sehen. | |
94 | Traun! daß sich aufgethürmt des Meeres Flut 94 |
Auf Gottes Wink, ist wunderbar zu finden, | |
Mehr, als die Hülfe, die euch nöthig thut." | |
97 | Sprach's, um mit seiner Schaar sich zu verbinden; |
Zusammen drängte sich die Schaar und fuhr | |
Vereint empor, gleich schnellen Wirbelwinden. | |
100 | Und ihnen nach, mit Einem Winke nur, |
Trieb mich die Herrin aufwärts jene Stiegen; | |
So zwang jetzt ihre Kraft mir die Natur. | |
103 | Hienieden, wo bald sinkt, was erst gestiegen, |
Giebt die Natur nie solche Schnelligkeit, | |
Daß sie vergleichbar ist mit meinem Fliegen. 100-105 | |
106 | So wahr ich, Leser, zu der Herrlichkeit |
Einst kehren will, für die ich oft in Zähren | |
Den Busen schlag' in Reu' und tiefem Leid: | |
109 | Du kannst ins Feu'r den Finger thun und kehren 109 |
So schnell nicht, als ich war im Sterngebild, | |
Das nach dem Stier durchrollt die Himmelssphären. | |
112 | O edle Sterne, kraftgeschwängert Bild, |
Dem das, was ich an Geist und Witz empfangen, | |
Sei's wenig, oder sei es viel, entquillt, | |
115 | In euch ist auf-, un euch ist untergangen |
Die Mutter dessen, was auf Erden lebt, 116 | |
Als mich zuerst Toskana's Luft umfangen. | |
118 | Als ich zum hohen Kreis, in dem ihr schwebt, 118 |
Geführt von reicher Gnad', emporgeflogen, | |
Da ward zu Theil mir, daß ich euch erstrebt. | |
121 | Fromm seufz' ich jetzt zu euch, seid mir gewogen! |
Wollt Kraft zum schweren Pfade mir verleihn, | |
Der meine Seele ganz an sich gezogen! | |
124 | "Zum letzten Heile führ' ich bald dich ein," 124 |
Sie sprach's, die mich zu diesen Höhen brachte, | |
"Und scharf und klar muß itzt dein Auge sein. | |
127 | Darum, bevor du tiefer dringst, betrachte |
Was unten liegt, und sieh, wie viele Welt | |
Ich unter deinem Fuß schon liegen machte. | |
130 | Damit dein Herz, so viel es kann, erhellt, |
Bereit sei, vor den Siegern zu erscheinen, | |
Die fröhlich sich in diesem Kreis gesellt." | |
133 | Durch alle sieben Sphären warf ich meinen |
Blick nun zurück, und sah dies Ehrenrund, | |
So, daß ich lächelt' ob des niedern, kleinen. | |
136 | Und jener Rath beruht auf gutem Grund, |
Denn die dies Rund verschmähn in höherm Streben, | |
Nur ihnen wird die echte Weisheit kund. | |
139 | Ich sah in Glut Latona's Tochter schweben, 139 |
Von jenem Schatten frei, der mir zum Wahn | |
Vom Dünnen und vom Dichten Grund gegeben. | |
142 | Dich, strahlenreicher Sohn Hyperions, sahn 142 |
Jetzt meine Blicke fest und ungeblendet, | |
Und um dich Maja's und Dione's Bahn, 144 | |
145 | Dich sah ich, Zeus, der mäß'gen Schimmer spendet, 145 |
Zwischen Saturn und Mars, auch ward mir klar, | |
Wie seinen Wechsellauf ein jeder wendet. | |
148 | Wie groß die Sieben sind, ward offenbar, |
Wie schnell sie sind, den Weltenraum durchreisend, | |
Auch stellte mir sich ihre Ferne dar. | |
151 | Und mit dem ew'gen Zwillingspaare kreisend, |
Sah ich die Scheibe, die so stolz uns macht, 152 | |
Mir Land und Meer und Berg' und Thäler weisend. | |
154 | Dann kehrt' ich mich zu Ihrer Augen Pracht. |
Anmerkungen:
13 Hier ist erklärt, was der am Schlusse des vorigen Gesanges unerklärt gebliebene Donner bedeutet hat. Es war die nach V. 8 und 9 aus dem Drange gerechten Eifers entstandene Bitte der Seligen, daß Gott solche Verdorbenheit des Clerus züchtigen möge. Allein sie flehen nur um das, was sie in Gott schon gewährt finden, daher die baldige Strafe hier verkündigt wird. 37 ff. Auf dem Gipfel des Berges, an welchem Cassino liegt, soll in alter Zeit ein Apollo-Tempel gestanden und Viele sollen zu dessen Orakeln ihre Zuflucht genommen haben. Der heilige Benedict, dessen Geist spricht, hat hier, wie der Text sagt, zuerst das Christenthum gepredigt und den heidnischen Dienst verbannt. 49 Maccar. Es giebt zwei Heilige dieses Namens. Welcher hier gemeint sei, ist nicht bezeichnet, und gleichgültig. - Romuald, der Stifter des Kamaldulenserordens. 59. Der Glanz, welcher die Seligen umgiebt, ist, wie schon an mehreren Stellen erwähnt worden, nur ihre Hülle - der Wiederschein der Wonne, die sie empfinden. Ohne diese Hülle wünscht Dante den heiligen Benedict zu sehen. 62 Der letzte Kreis, das Empyreum. Dort werden wir die Seligen sichtbar aus allen Kreisen vereinigt finden. 63 Auch mein Wunsch, dir Genüge zu leisten. 67-68 Das Empyreum, außerhalb und über dem Raume, ist unbeweglich und unveränderlich. 80 Jene Frucht: weltlicher Reichtum - die Güter der Kirche, welche die Pfaffen, anstatt sie den Armen zu geben, selbst genießen. 84 Schlechterem Gezücht, Buhlerinnen und solchen Leuten, welche den Mönchen in ihrem sündlichen Leben Vorschuß leisten. 85-87 Der Benediktiner-Orden war seiner Stiftung nach gut, artete aber in der Folge aus. Weil die Menschen sinnlich und leicht verführbar sind, genügt die Trefflichkeit des Stifters und der Stiftung nicht, um diejenigen, die ihr angehören, auch gut zu erhalten. Nicht so lange Zeit dauert der Einfluß des Stifters, als erforderlich ist, daß eine Eiche zum Baume heranwachse. 94 Gott stand dem hebräischen Volke durch ein größeres Wunder bei, als jetzt nöthig ist, um der Zeit, die durch die Verdorbenheit des Clerus im Argen liegt, zu Hülfe zu kommen. 100-105 Nur ein Wink Beatricens ist erforderlich, um den Dichter zu höherm Auffluge zu beschwingen - so ganz ist durch die Kraft der himmlischen Weisheit die irdische Natur in ihm überwunden. Solch ein Flug ist auf der Erde, unter dem Einflusse der Sinne, nicht möglich, da, wenn auch das Höhere den Menschen emporhebt, doch die Schwere des Stoffs ihn bald wieder herniederzieht. 109 Nach dem Stier folgen im Zodiak die Zwillinge. Dante war, wie Seite 9 der Einleitung erzählt ist, geboren, als die Sonne in diesem Sternbilde stand. Dem Einflusse desselben schreibt er daher, seinem Systeme gemäß, die Gaben und die Richtung seines Geistes zu. 116 Die Sonne, deren Licht und Wärme auf Erden Alles entwickelt. 118 Zum hohen Kreis etc., zum Fixsternhimmel. Unter den mannigfachen Sternbildern, die er enthält, war Dante gerade in dasjenige versetzt, das, seinem Glauben nach, für ihn selbst das einflußreichste gewesen war. 124 Um den Dichter zu dem letzten, höchsten Heile, das ihn im Empyreum erwartet, vorzubereiten, gebietet ihm Beatrice, seinen Blick zurück zu wenden und durch die sieben Sphären, die er bereits durchflogen, die Erde zu erschauen. Denn nur derjenige kann zu dem Göttlichen sich erheben, von dem Göttlichen ganz durchdrungen werden, der sich erst überzeugt hat, wie klein und arm die Erde ist; und daß sie, mit Allem, was sie enthält, erst Bedeutung erhält als Ring der großen Kette, als Theil des Alls, über welchem der ewige Geist schwebt, vor dessen Unendlichkeit Nichts groß und Nichts klein ist. 139 Latona's Tochter, der Mond, der von oben betrachtet, auf der von der Erde abgewandten Seite, frei ist von jenen Flecken, über welche im zweiten Gesange gesprochen ist. 142 Der Sohn Hyperions, die Sonne. 144 Maja und Dione, die Mütter des Merkur und der Venus, hier diese Gestirne selbst. 145 Mäßigen Schimmer, Bezeichnung des Sterns der Gerechtigkeit, welche in Allem das Maß erhält, nach gerechtem Maße mißt. 152 Die Scheibe, die Erde. |