Uebersicht   

Das Paradies.

Einundzwanzigster Gesang.

1 Schon heftet' ich die Augen aufs Gesicht
  Der Herrin wieder, Augen und Gemüthe,
  Und dachte drum an alles Andre nicht.
4 Sie lächelte mir nicht, doch sprach voll Güte:
  "Dafern ich lachte, würde dir geschehn
  Wie Semelen, als sie in Staub verglühte.
7 Wenn meine Schönheit, die, wie du gesehn,
  Beim Steigen in dem ewigen Palaste
  Sich mehr entflammt, je mehr wir uns erhöhn,
10 Sich deinem Blick nicht mäßigte, sie faßte
  Dich wie ein Blitz - du wär'st von ihr erdrückt,
  Zerschmettert gleich dem blitzgetroffnen Aste.  1-12
13 Wir sind zum Glanz, dem siebenten entrückt,
  Der vom Gebild des Himmels-Leu'n umgeben,
  Aus seiner Glut den Strahl herniederzückt.  13-15
16 Laß jetzt den Geist, dem Blicke nach, sich heben;
  Und deinen Blick - mach' jetzt zum Speigel ihn
  Für's Bild, das kund wird dieser Spiegel geben."  
19 Wer wüßte, wie ihr Blick so selig schien,
  Wie er dem meinen ward zur süßen Weide,
  Als sie gebot, ihn wieder abzuziehn,
22 O der erkennt auch wohl, mit welcher Freude
  Ich dem gehorcht, was Sie mir auferlegt,
  Denn Wonne hielt das Gleichgewicht dem Leide.  19-24
25 In dem Krystall, das, um die Welt bewegt,
  Vom theuren Führer, unter dem entweichen
  Die Bosheit mußte, noch dem Namen trägt,  25-27
28 Erblickt' ich einer Leiter schimmernd Zeichen,  28
  An Farbe gleich dem Gold, durchglänzt vom Strahl,
  Hoch, daß zur Höh' nicht Menschenblicke reichen,
31 Und auf den Sprossen stieg in solcher Zahl
  Die Schaar der sel'gen Himmelslichter nieder,
  Als ström' hier alles Licht mit einem Mal.
34 Und wie, nach ihrer Art, die Kräh'n, wenn wieder  34-42
  Der Tag beginnt, sich rasch bewegend ziehn,
  Um zu erwärmen ihr erstarrt Gefieder,
37 Und die von dannen ohne Rückkehr fliehn,
  Die rückwärts fliegen, andre dann, im Bogen
  Dieselbe Stell' umkreisend, dort verziehn;
40 So sah ich's jetzt in jenem Glanze wogen,
  Der sich als Strom ergoß, sobald die Flut
  Bis zu gewissen Stufen hergezogen.
43 Und Einer glänzte, der, uns nah', geruht,
  Drum wollte schon die Wort der Lipp' entsteigen:
  "Ich seh' es wohl, du zeigst mir Liebesglut."
46 Doch Sie, die mir zum Sprechen und zum Schweigen
  Das Wie und Wann bestimmt, sie schwieg, und ich
  That wohl, nicht fragend meinen Wunsch zu zeigen.
49 Doch sie erklärte wohl mein Schweigen sich,
  In ihm, der Alles sieht, mich klar erschauend,
  Und sprach: "Still' itzt den heißen Wunsch und sprich!"
52 Und ich begann: ""Nicht dem Verdienste trauend,
  Halt' ich von dir mich einer Antwort werth;
  Ich frag', auf Sie, die mir's gestattet, bauend:
55 O sel'ges Leben, daß du schön verklärt
  Dich in der Freude birgst, aus welchem Grunde
  Hast du zu mir dich liebevoll gekehrt?
58 Und sage mir, weswegen diesem Runde
  Die Paradieses-Symphonie gebricht,
  Die tiefer dort erklang im frommen Bunde?""
61 Und Er: "Dein Ohr ist schwach, wie dein Gesicht,
  Weshalb Beatrix nicht gelacht, deswegen
  Ertönt der Sang in diesem Kreise nicht.
64 Ich kam von heil'ger Leiter dir entgegen,
  Um mit der Red' und mit dem Licht, das mir
  Zum Kleide dient, dich freudig aufzuregen.
67 Und nicht aus größ'rer Liebe bin ich hier;
  Nein, mehr und gleiche Liebe glüht in ihnen,
  Die dorten sind, und Schimmer zeigt sie dir.
70 Doch höchste Liebe, die uns treibt, zu dienen
  Dem ew'gen Rath, braucht, wen sie wählt, dabei,
  Wie dir in dem, was du gesehn, erschienen."
73 ""Ich sehe,"" sprach ich, ""daß die Liebe, frei,
  An diesem Hof den Schlüssen nachzugehen 74
  Der ew'gen Vorsehung genügend sei.
76 Doch bleibt mir Eins noch schwierig zu verstehen:
  Warum bist du von allen Jenen dort
  Schon im Voraus zu diesem Amt ersehen?""
79 Noch war ich nicht gelangt zum letzen Wort,
  Da drehte sich, sich um sich selber schwingend,
  Das Licht im Kreis gleich einer Mühle fort.
82 "Da jenes Licht, dem Urquell selbst entspringend,"
  Antwortete die Liebe drin, "mir scheint,
  Das, welches mich in sich verschließt, durchdringend,
85 Hebt seine Kraft, mit meinem Schau'n vereint,
  Mich über mich, so daß in seinem Schimmer
  Das Ursein, das ihn ausströmt, mir erscheint.
88 Und daher kommt mein freudiges Geflimmer,
  Denn wie des Blickes Klarheit sich vermehrt,
  Vermehrt sich auch der Flammen Klarheit immer.
91 Doch der, der sich im reinsten Licht verklärt,
  Der Seraph selbst, der Gott am hellsten siehet,
  Genügt dir nicht in dem, was du begehrt.
94 Denn in dem Abgrund ew'gen Raths umziehet
  Das, was du fragtest, Nacht, die, nie erhellt,
Es jeglichem geschaffnen Blick entziehet.
97 Verkünde dies, zurückgekehrt, der Welt,
  Und warne sie vor jenem stolzen Streben,
  Das so Erhabnes sich zum Ziele stellt.
100 Licht hat den Geist hier, dorten Rauch umgeben,
Drum sieh, wie kann zum höchsten Ziel hinauf,
Das hier nicht klar wird, er sich dort erheben!"
103 Dies trug das Wort des Seligen mir auf,
  Drum ließ ich demuthsvoll von diesen Fragen,
Und fragte nur nach seinem Lebenslauf.
106 "Zwischen Italiens beiden Küsten ragen
Felsberge, Tuscien nah'. so hoch empor,  107
Daß unter ihren Höh'n die Wolken jagen.
109 In ihnen springt ein Berges-Höcker vor,
Catria genannt, und drunter liegt die Oede,  110
Die Gott zu seinem ächten Dienst erkor."
112 Also begann er seine dritte Rede,
Und fuhr dann fort: "Dort stärkt' ich meine Kraft
Im Dienste so, daß ich der Speisen jede
115 Mit nichts mir würzt', als mit Olivensaft;
Dort hat Beschauung mir in vielen Jahren
Bei Hitz' und Frost Zufriedenheit verschafft.
118 Fruchtbare Felder für den Himmel waren
Im Klosterbann, jetzt wuchert Unkraut dort,
Und wohl geziemt sich's, dies zu offenbaren.
121 Pier Damian war ich an jenem Ort.  121
(Petrus Peccator lebt' in unsrer lieben
Frau'n heil'gem Kloster an Ravenna's Bord.)
124 Nur wenig Leben war mir noch geblieben,
Da rief, ja zog man mich zu jenem Hut,  125
Der jetzt zu schlimmen reizt und schlimmern Trieben.
127 Petrus war mager einst und unbeschut,
Paulus ging so einher in jenen Tagen
Und fand die Kost in jeder Hütte gut,
130 Die neuen Hirten, feist, voll Wohlbehagen,
Sieht man gestützt, geführt und schwer bewegt,
Und hinten läßt man gar die Schleppe tragen.
133 Wenn über's Prachtroß sich ihr Mantel schlägt,
Sind zwei Stück Vieh in einer Haut beisammen.
O göttliche Geduld, die viel erträgt!" -
136 Hier stiegen von der Leiter viele Flammen
Und kreisten dort, so daß sie mehr und mehr
Bei jedem Kreis in schönem Lichte schwammen.
139 Sie stellten sich um jenen Schimmer her,
Mit einem Rufe von so lautem Schalle,
Daß nichts auf Erden tönt so laut und schwer.
142 Doch nichts verstand ich in dem Donnerhalle.

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Zweiundzwanzigster Gesang

Erläuterungen:

1-12 Semele bat den Jupiter, daß er sich ihr in seiner ganzen Majestät zeigen möchte. Als der Gott ihrer hartnäckigen Bitte nachgab, wurde sie zu Asche verbrannt. Dies Gleichniß ist hier sehr ausdrucksvoll. Im Saturn, in welchem Dante ankommt, wohnen diejenigen, die sich der Beschaulichkeit, der mystischen Betrachtung Gottes, hingegeben. Sie sind Gott näher als alle Seligen, die der Dichter bis jetzt gesehen. Wenn nun Beatrice, die wir mit dem Namen der Einsicht in himmlische Dinge, der Religion selbst, bezeichnen dürfen, wie früher, durch Lächeln und höhern Glanz ihr Fortschreiten zur Höhe und das damit sich immer steigernde, immer klarer werdende Schauen und Erkennen hätte kund geben wollen, so würde des Menschen noch nicht darauf vorbereitetes Auge erblindet - er würde, wie Semele, von der Majestät des Gottes vernichtet worden sein.

13-15 Andeutung, daß zur Zeit der Reise Dante's der Saturn im Sternbilde des Löwen stand.

18 Dieser Spiegel, der Planet Saturn, der Gottes Glanz abspiegelt.

19-24 Beatricens Augen waren so selig, daß es eine Wonne war, ihnen zu gehorsamen, und daß diese Wonne dem Schmerze, von ihnen, ihrem Befehle gemäß, wegzublicken, das Gleichgewicht hielt.

25-27 Die Fabel verlegt bekanntlich in die Regierung des Saturn, von welchem dieser Stern (hier Krystall benannt) noch jetzt den Namen hat, das goldene Zeitalter.

28 Einer Leiter etc. 1 B. Mosis Kap. 28 V. 12. u. 13. Jacob träumte: Und siehe, eine Leiter stand auf Erden und rührte mit der Spitze an den Himmel; und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der Herr stand oben darauf. - Gewiß hätte der Dichter kein schöneres Bild der ahnenden Betrachtung de Höchsten geben können, als die Leiter, auf welcher sich von Stufe zu Stufe die Seele emporschwingt, und von welcher ihr von oben das Ersehnte entgegengebracht wird. Hier, in dem Planeten, dessen Einfluß auf Erden die Betrachtung erweckt, ist das Heruntersteigen der Seligen, wie ihr Hinaufsteigen, von nicht schwer zu erkennender Bedeutung.

34-42 Auch dieses vielleicht auf den ersten Anblick zu niedrig scheinende Bild möge man nicht ohne nähere Betrachtung vorübergleiten lassen.

70-72 Auch die anderen Seligen bewegen sich aufwärts, abwärts, im Kreise, wie der ewige Rath, nach ihrer Bestimmung und nach der des Planeten, es erheischt.

74 An diesem Hofe des höchsten Königs.

107 Gebirge, die Apenninen.

110 Catria, ein Berg im Herzogthum Urbino, unter welchem ein einsames Kloster lag.

121 Der heilige Peter Damian, der hier spricht, ist, wie der Dichter ihn selbst bemerken läßt, vom heiligen Peter Peccator zu unterscheiden, der in einem Kloster bei Ravenna lebte. Beide Heilige scheinen zu des Dichters Zeit verwechselt worden zu sein. So Lombardi und Biagioli. Andere Ausgaben lesen für fu - fui, wonach der heilige Peter Damian, ehe er in dem oben angegebenen Kloster unter dem Namen Petrus Peccator, oder auch, wie Andere lesen, Pescator, im Kloster unsrer lieben Frauen in der Gegend von Ravenna gelebt haben würde.

125 Der heilige Peter Damian wurde, wie Landino bemerkt, fast mit Gewalt genöthigt, Kardinal zu werden. Was der Heilige im Folgenden über den Luxus und die Ueppigkeit der Kardinäle und anderer hohen Geistlichen aus Dante's Zeit sagt, ist allerdings stark, doch, nach den Zeugnissen anderer Schriftsteller, insonderheit des Boccaccio, keineswegs zu stark.