Das Paradies. |
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Zwanzigster Gesang. |
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1 | Wenn Sie, die hell die ganze Welt verklärt, |
Von unsrer Hemisphär' herabgeschwommen | |
Und rings der Tag ersterbend sich verzehrt, | |
4 | Dann zeigt der Himmel, erst von ihr entglommen, |
Von Ihr allein, viel Sterne rings im Rund, | |
Die all' ihr Licht von einem Licht entnommen. | |
7 | Dies war's, was jetzt vor meiner Seele stund, |
Als unsrer Welt und ihrer Herrscher Zeichen | |
Stillschweigen ließ den benedeiten Mund. | |
10 | Denn alle Lichter, jene wonnereichen, |
Erglänzten mehr im Sang, an dessen Macht | |
Nicht irdischer Erinn'rung Schwingen reichen. 1-12 | |
13 | O Lieb', umkleidet mit des Lächelns Pracht, 13 |
Wie sah ich Glanz dich in die Funken gießen, | |
Die heil'ger Sinn allein dort angefacht! | |
16 | Dann, als die Edelsteine, die mit süßen |
Lichtstrahlen hold das sechste Licht erhöhn, | |
Die Engelsglocken wieder schweigen ließen, | |
19 | Schien mir's, es zeig' in murmelndem Getön |
Ein Fluß, von Fels zu Felsen niederfallend, | |
Wie reich sein Quell entstand auf Bergeshöh'n. | |
22 | Und wie ein Ton, aus reiner Laute schallend, |
An ihrem Hals sich formt, und wie der Wind | |
Durch's Mundloch eindringt, die Schalmei durchhallend; | |
25 | So hatte jener Murmelton geschwind |
Sich bis zum Hals des Adlers aufgeschwungen, | |
Und drang, wie aus der Kehle süß und lind; | |
28 | Und ward zur Stimm', und, dort hervorgedrungen, |
Ward er gebildet zum erwünschten Wort, | |
Und wohl behält mein Herz, was mir erklungen. | |
31 | "Den Theil in mir, der bei den Adlern dort |
Die Sonne sieht und trägt, schau' an!" so hoben | |
Die Wort' jetzt an und fuhren weiter fort: | |
34 | "Denn von den Feuern, die mein Bild gewoben, |
Stehn, die hier glänzen an des Auges Statt, | |
In alle Würden vor den andern oben. | |
37 | Der, so den Platz des Augenapfels hat, |
Des heil'gen Geistes Sänger war's und brachte | |
Die Bundeslade fort von Stadt zu Stadt. 39 | |
40 | Wie der, der ihn begeistert, seiner achte |
Und seines Sangs, das kann er jetzo sehn, | |
Da Er dem Werth gleich die Belohnung machte. | |
43 | Von fünf, die um mein Aug' als Braue stehn, |
Sieh nächst dem Schnabel den, der eh'mals Weile | |
Dem Heer gebot auf einer Wittwe Flehn. | |
46 | Wie, wer nicht Christo folgt zu seinem Heile, |
Dies theuer büßt, das hat er nun erkannt | |
In dieser Wonn' und in dem Gegentheile. 44-48 | |
49 | Der Nächst' im Kreise, der mein Aug' umspannt, |
Ist Jener, der den Tod auf funfzehn Jahre | |
Durch wahre Reue von sich abgewandt. | |
52 | Jetzt sieht er ein, der Herr, der ewig Wahre, |
Bleib' ewig wahr, obwohl sein Urtheil sich | |
Auf würd'ges Flehn von Heut' und Morgen spare. 49-54 | |
55 | Der nachfolgt, führte das Gesetz und mich, |
Durch guten Sinn zu schlimmem Thun bewogen, | |
Nach Griechenland, weil er dem Hirten wich. | |
58 | Jetzt sieht er, daß, vom Guten abgezogen, |
Das Uebel, das in Trümmern euch begräbt, | |
Ihm dennoch nichts von seiner Wonn' entzogen. | |
61 | Sieh Wilhelm, wo der Bogen abwärts strebt, 55-60 |
Ob dessen Tod des Landes Bürger weinen, | |
Das weint, weil Karl und Friederich gelebt. 61-63 | |
64 | Jetzt sieht er, Gott liebt zärtlich, als die Seinen, |
Gerechte Fürsten, und, in Glanz erhellt, | |
Läßt er dies hier in frohem Blitz erscheinen. | |
67 | Wer glaubt es in der wahnbefangnen Welt, |
Daß Ripheus, den Trojaner, hier im Runde 68 | |
Des fünften Lichtes heil'ger Glanz enthält? | |
70 | Jetzt hat er wohl von Gottes Gnade Kunde |
Und siehet mehr, als eurer Welt sich zeigt, | |
Dringt auch sein Blick nicht bis zum tiefsten Grunde." | |
73 | Wie in die Luft die kleine Lerche steigt. |
Erst singend flattert, aber dann, zufrieden, | |
Vom letzten süßen Ton gesättigt, schweigt; | |
76 | So schien mir jenes Bild, durch das hienieden |
Des Höchsten ew'ger Wille zu uns spricht, | |
Der jedem Ding das, was es ist, beschieden. | |
79 | Und barg ich auch den Zweifel minder dicht, 79 |
Als Glas die Farbe, litt er doch mein Schweigen | |
Und läng'res Harren auf Verkündung nicht. | |
82 | Er zwang dies Wort dem Munde zu entsteigen: |
""Was sah ich dort!"" durch seines Dranges Macht, 83 | |
Denn Freudenfunkeln sah ich dort sich zeigen. | |
85 | Im Auge hell're Gluten angefacht, |
Sprach drauf der Adler, um mich aufzuregen, | |
Den Staunen fesselte bei solcher Pracht: | |
88 | "Ich sah, du glaubest dies, doch nur deswegen, |
Weil ich's gesagt, und siehest nicht das Wie? | |
Wie wir Verborgenes zu glauben pflegen, | |
91 | Wie man der Sache Namen lernt, doch sie |
Nicht kann nach ihrem Wesen unterscheiden, | |
Wenn nicht ein Anderer uns Licht verlieh. | |
94 | Das Reich der Himmel muß Gewalt erleiden, 94 |
Wenn Kraft der Lieb' und Hoffnung es bekriegt, | |
Denn Gottes Wille wird besiegt von beiden; | |
97 | Nicht wie ein Mensch dem Stärkern unterliegt, |
Nein, Er siegt, denn er will sich ja ergeben, | |
Drob er, besiegt durch seine Güte, siegt. | |
100 | Du staunst beim ersten und beim fünften Leben |
In meiner Brau', und nennst es wunderbar, | |
Daß beide hier in hellem Glanze schweben. | |
103 | Als Christen, nicht als Heiden, starb dies Paar. 103 |
Der glaubt' ans Leiden, das schon eingetroffen, | |
Der Zweit' an das, das noch zu dulden war. | |
106 | Der ist vom Höllenschlund, der nimmer offen 106 |
Zur Rückkehr war, zum Leib zurückgekehrt, | |
Und dies verdankt er nur lebend'gem Hoffen; | |
109 | Lebend'gem Hoffen, das von Gott begehrt, |
Ihn zu befreien aus des Todes Banden, | |
Damit er lebe, wie das Wort gelehrt. | |
112 | Und die ruhmwürd'ge Seele kehrt erstanden |
Auf kurze Zeit zum Leib, und glaubt an Ihn, | |
Deß Allmacht auf ihr Flehn ihr beigestanden. | |
115 | Und fühlte, glaubend, sich so hell erglühn |
In wahrer Liebe, daß sie dieser Wonnen | |
Bei ihrem zweiten Tode werth erschien. | |
118 | Der Zweit', aus Gnade, die so tiefem Bronnen |
Entquollen ist, daß nie die Creatur | |
Die Quell' erspähen kann, wo er begonnen, | |
121 | Weiht' all sein Lieben einst dem Rechte nur, |
Drum hob ihn Gott empor zu Gnad' und Gnaden, | |
Und zeigt' ihm künftiger Erlösung Spur. | |
124 | Er glaubt' an sie, und schalt sodann, entladen |
Des Heidenthums, von seinem Stanke frei, | |
Die, so noch wandelten auf falschen Pfaden. | |
127 | Anstatt der Taufe standen ihm die Drei, 127 |
Die du am rechten Rad im Tanz gesehen, | |
Wohl tausend Jahre vor der Taufe bei. | |
130 | O Gnadenwahl, wie tief verborgen stehen |
Doch deine Wurzeln jenem Blick, der nicht | |
Vermag den Urgrund völlig zu erspähen! | |
133 | Kurz sei dein Urtheil, Mensch, wie dein Gesicht, |
Da wir nicht all' die Auserwählten wissen, | |
Wir, die wir schau'n in Gottes ew'ges Licht. | |
136 | Und süß ist uns auch das, was wir vermissen, |
Da immer reiner draus das Heil entquillt, | |
Da dessen, was Gott will, auch wir beflissen." | |
139 | So reichte jenes gottgeliebte Bild, |
Der schwachen Sehkraft Stärkung zu bereiten, | |
Mir Arzeneien, wundersüß und mild. | |
142 | Und wie mit lieblichem Geschwirr der Saiten |
Die guten Lautner guter Sänger Lied | |
Zu größ'rer Süßigkeit des Sangs begleiten, | |
145 | So regt', indeß der Adler mich beschied, |
Der benedeiten Lichter Paar zusammen, 146 | |
Wie man zugleich die Augen blicken sieht, | |
148 | Bei seinem Wort die hellen Wonneflammen. |
Erläuterungen:
1-12 Alle Seligen, welche den Adler bilden, zeigen sich jetzt, neu erglänzend in Liebe und Freude, wie Sterne, wenn die Sonne untergegangen ist. 13 Gottes Liebe, die sich im Lächeln dieses Glanzes verbirgt und zeigt, entfltammt ihn, der aus der Heiligkeit des Innern entspringt, zu noch höherm und reinerm Lichte. 39 Des heil'gen Geistes Sänger etc., David. (S. Fegefeuer Ges. 10 V. 55.) 44-48 Trajan. (S. Fegefeuer Ges. 10 V. 71 ff., wo das hier erwähnte Ereigniß erzählt ist, und die dazu gehörige Anmerkung.) Weiter unten, V. 106 des gegenwärtigen Gesanges, wird angeführt, daß seine Seele durch Fürbitte des heil. Gregor aus der Hölle, wohin sie nach seinem Tode versetzt worden, in den Leib zurückgekehrt, und er während dieses kurzen zweiten Erdenlebens Christ geworden sei. Daher kennt er aus Erfahrung die Himmelswonne und deren Gegentheil, die Höllenqual. 49-54 Dem Könige Hiskia, welcher todtkrank war, wurde vom Propheten Jesaias sein baldiger Tod verkündigt. Auf sein Gebet aber kehrte Jesaias, von Gott befehligt, zu ihm zurück und verkündigte ihm Genesung. Hiskia lebte darauf noch funfzehn Jahre. (S. 2. Buch der Könige Kap. 20.) 55-60 Das Uebel, das Dante allenthalben beklagt, die päpstliche Weltherrschaft nämlich, würde höchst wahrscheinlich nicht eingetreten sein, wenn Constantin der Große den kaiserlichen Sitz nicht von Rom weg und nach Constantinopel verlegt hätte, da dann der Papst immer nur römischer Bischof geblieben sein würde. 61-63 Wilhelm der Gütige von Sicilien. Seine Gerechtigkeit wird der entgegengesetzten Eigenschaft Karls des Lahmen und Friedrichs von Arragonien entgegengestellt. 68 Ripheus, der Trojaner von welchem Virgil sagt: iustissimus unus qui fuit in Teucris, et servantissimus aequi. 79 Der Zweifel, obwohl er den Seligen bereits bekannt war, ließ mich nicht schweigen. 83 "Was sah ich dort!" Ausruf des Staunens über die im Paradiese aufgenommenen Heiden. 94 S. Matthäus Kap. 11 V. 12, erläutert durch die Parallelstelle Luc. Kap. 16 V. 16. 103 Wie die vom Dichter hier entwickelte Doctrin mit der von der alleinseligmachenden katholischen Kirche in Uebereinstimmung zu bringen sei, mögen die Theologen, besonders die katholischen, untersuchen. 106 ff. S. Anm. zu V. 44-47. 127 Die Drei, Glaube, Liebe und Hoffnung. 146 Der benedeiten Lichter Paar, Trajan und Ripheus. |