Das Paradies. | |
Siebenzehnter Gesang. | |
1 | Wie der, der Väter karg gemacht den Söhnen, 1 |
An Elimene um Kunde sich gewandt | |
Von dem, was man gesagt, ihn zu verhöhnen; | |
4 | So war ich jetzt in mir, und so empfand |
Beatrix mich und Er, deß Liebesregung | |
Vom Flammenkreuz ihn zu mir hergebannt. | |
7 | Drum Sie: "Folg' itzt der inneren Bewegung, |
Und laß den Wunsch hervor, nur sei er rein, | |
Bezeichnet durch des innern Stempels Prägung. | |
10 | Er soll nicht größre Kenntniß uns verleihn, |
Doch muthig sollst du deinen Durst bekennen, | |
Als ob ein Mensch ihn stillen sollt' im Wein." | |
13 | ""O theurer Ahn, hochragend im Erkennen, |
Gleich wie der Mensch sieht, daß im Dreieck nicht 14 | |
Zwei stumpfe Winkel sich gestalten können, | |
16 | So siehst du, was da sein wird, das Gesicht |
Dem Spiegel zugewandt, der alle Zeiten | |
Als Gegenwart dir zeigt im klaren Licht; | |
19 | Als noch Virgil bestimmt war, mich zu leiten, |
Um auf den Berg, der unsre Seelen heilt, | |
Und zu der todten Welt hinabzuschreiten, | |
22 | Ward von der Zukunft Kunde mir ertheilt, |
Die hart ist, mag ich auch als Thurm mich fühlen, | |
Der trotzend steht, wenn ihn der Sturm umheult. | |
25 | Drum wüßt' ich gern, um meinen Wunsch zu kühlen, |
Welch ein Geschick mir naht. Vorausgeschaut | |
Scheint minder tief ein Pfeil sich einzuwühlen."" | |
28 | Ich sprach's zum Licht, das mir mit süßem Laut |
Gesprochen hatt', und hatt' ihm nun vollkommen, | |
Nach meiner Herrin Wink, den Wunsch vertraut. | |
31 | In Räthseln nicht, wie man sie einst vernommen |
Bestimmt, ein Netz für Thoren-Wahn zu sein, | |
Eh' Gottes Lamm die Sünd' auf sich genommen, | |
34 | In klarem Wort und bündigem Latein |
Antwortete mir jene Vaterliebe | |
Verschlossen in der eignen Wonne Schein: | |
37 | "Der Zufall, Werk allein der Erden-Triebe, |
Malt sich im ew'gen Blick, wie vorbestimmt, | |
Und keiner ist, der ihm verborgen bliebe, | |
40 | Obwohl er euch die Freiheit nicht benimmt, |
So wenig, als das Aug' ein Schifflein leitet, | |
Das drin sich spiegelt, wenn's strom-unter schwimmt. | |
43 | Wie Orgel-Harmonie zum Ohre gleitet, |
So kann mein Aug' im ew'gen Blicke sehn, | |
Welch ein Geschick die Zukunft dir bereitet. | |
46 | Wie Hippolyt, vertrieben aus Athen 46 |
Von der Stiefmutter treulos argen Ränken, | |
So mußt du aus dem Vaterlande gehn. | |
49 | Dies wollen sie, dies ist's, worauf sie denken; |
Und wo man Christum frech zum Markte trägt, 50 | |
Dort wird zur That, was Noth thut, dich zu kränken. | |
52 | Und dem verletzten Theil folgt, wie er pflegt, |
Der Ruf der Schuld - allein die Wahrheit künden | |
Wird Gottes Rache, die den Argen schlägt. | |
55 | Du wirst dich Allem, was du liebst, entwinden, |
Und wirst, wenn dies dir bittern Schmerz erweckt, | |
Darin den ersten Pfeil des Banns empfinden. 57 | |
58 | Wie fremdes Brod gar scharf versalzen schmeckt, |
Wie hart es ist, zu steigen fremde Stiegen, | |
Wird dann durch die Erfahrung dir entdeckt, | |
61 | Doch wird so schwer nichts deinen Rücken biegen, |
Als die Gesellschaft jener schlechten Schaar, | |
Mit welcher du dem Bann wirst unterliegen. | |
64 | Ganz toll, und ganz verrucht und undankbar, |
Bekämpft sie dich; doch zeiget bald, zerschlagen, 65 | |
Ihr Kopf, nicht deiner, wer im Rechte war. | |
67 | Wie dumm sie ist, das wird ihr Thun besagen; |
Und daß du für dich selbst Partei gemacht, | |
Wird dir erwünschte, schöne Früchte tragen. | |
70 | Die erste Zuflucht in der harten Acht 70 |
Wird dir der herrliche Lombard' gewähren, | |
Den heil'ger Aar und Leiter kenntlich macht. | |
73 | Zwischen euch wird von Geben und Begehren |
Das, was sonst später kommt, das Erste sein, | |
So sorgsam wird auf dich sein Blick sich kehren. | |
76 | Dort siehst du Ihn, dem dieses Sternes Schein 76 |
Bei der Geburt im hellsten Licht entglommen, | |
Ihm das Gepräg zu hoher That zu leihn, | |
79 | Und hat die Welt noch nichts davon vernommen, |
So ist's, weil eben erst zum neunten Mal | |
Die Sonn' um ihn den Zirkellauf genommen, | |
82 | Doch glänzt er, ungerührt durch Gold und Qual, |
Bevor sich des Gascogners Tücken zeigen 83 | |
Bei Heinrichs Zug, in heller Tugend Strahl. | |
85 | Hochherrlich wird sein Ruhm zum Himmel steigen; |
Der Feind selbst kann, obwohl voll Ungeduld | |
Bei seiner Thaten Lob es nicht verschweigen. | |
88 | Gewärtig sei denn sein und seiner Huld; |
Aus Armen macht er Reich' und Arm' aus Reichen, | |
Hebt arme Tugend, stürzt die reiche Schuld. | |
91 | Laß nicht dies Wort aus dem Gedächtniß weichen, |
Doch sage nichts!" Dann sagt' er Dinge mir, | |
Die dem selbst, der sie sah, noch Wundern gleichen. | |
94 | "Sohn," also sprach er weiter, "siehe hier, |
Zu dem, was dir verkündet ward, die Glossen. | |
Schon droht man aus dem Hinterhalte dir. | |
97 | Doch nicht beneide deine Landsgenossen, |
Denn lang, bevor du sinkst ins dunkle Grab, | |
Ist dem Verrath gerechte Rach' entsprossen." | |
100 | Hier brach die heil'ge Seel' ihr Reden ab, |
Und hatte das Gewebe ganz vollendet, | |
Wozu ich fragend ihr den Aufzug gab. | |
103 | Und wie man zweifelnd sich an Jemand wendet, |
Der innig liebt, und Rechtes will und sieht, | |
Nach gutem Rath - so ich, als er geendet: | |
106 | ""Ich seh's, wie rasch heran die Stunde zieht, |
Um gegen mich den scharfen Pfeil zu kehren, | |
Der schwerer trifft, wen die Besinnung flieht. | |
109 | Drum muß ich wohl mit Vorsicht mich bewehren, |
Um fern dem Ort, der, was ich lieb', enthält, | |
Nicht durch mein Lied der Zuflucht zu entbehren. 111 | |
112 | Denn reisend durch die endlos bittre Welt, |
Dann auf den Berg, wo mich vom Angesichte | |
Der Herrin Licht zum höhern Flug erhellt; | |
115 | Dann durch den Himmel selbst vom Licht zu Lichte, |
Erfuhr ich, was wohl Manchen brennt und beißt | |
Durch ätzenden Geschmack, wenn ich's berichte. | |
118 | Und zagt, der Wahrheit feiger Freund, mein Geist, |
Dann, fürcht' ich, bin ich todt bei jenen Allen, | |
Bei welchen diese Zeit die alte heißt."" | |
121 | Und neuen Glanz sah ich dem Licht entwallen, |
Das Strahlen, wie ein goldner Spiegel, warf, | |
Auf den der Sonne Feuerblicke fallen. | |
124 | "Wer rein nicht sein Gewissen nennen darf," |
Sprach er, "wen eigne Schmach, wen fremde drücket, | |
Dem schmeckt wohl deine Rede streng und scharf. | |
127 | Dennoch verkünde ganz und unzerstücket |
Was du gesehn, von jeder Lüge frei, | |
Und laß nur den sich kratzen, den es jücket. 129 | |
130 | Ob schwer dein Wort beim ersten Kosten sei, |
Doch Nahrung hinterläßt's zu kräft'germ Leben, | |
Ist des Gerichts Verdauung erst vorbei. | |
133 | Dein Laut wird sich, dem Sturme gleich, erheben, |
Der hohe Gipfel stärker schüttelnd faßt, | |
Und dies wird Grund zu größrer Ehre geben. | |
136 | Drum sind berühmte Seelen alle fast, |
Die du im dunkeln wehevollen Schlunde | |
Und auf dem Berg und hier gesehen hast. | |
139 | Den Niemand traut beruhigt einer Kunde, |
Verbirgt das Bild, das sie vor Augen stellt, | |
Die Wurzel tief im unbekannten Grunde, | |
142 | Und nur was schimmert überzeugt die Welt." |
Erläuterungen:
1 Phaeton, welcher durch seine schlechte Führung des Sonnenwagens die Väter belehrt hat, daß sie thörichte Bitten der Söhne nicht gewähren sollen, wandte sich zuerst an seine Mutter, um zu erfahren, ob es wahr sei, daß nicht Apoll, sondern Epaphus ihn erzeugt habe. So wendet sich jetzt Dante an Beatricen, um sich über das zu vergewissern, was er in der Hölle sowohl, als im Fegefeuer über sein künftiges Geschick gehört hatte. 14 Du erkennst die Zukunft mit derselben Klarheit und Sicherheit, mit welcher ein Mensch einen Lehrsatz der Mathematik einsieht. 31 Nicht mit dunkeln und zweideutigen Worten, in welchen vormals die Orakelsprüche verkündet wurden. 46 Hippolyt, Sohn des Theseus, mußte aus Athen entweichen, weil er der verbrecherischen Liebe seiner Stiefmutter Phädra nicht entsprechen wollte, und aus Rache von ihr eines Angriffs auf ihre Ehre beschuldigt wurde. Das Gleichniß ist in vieler Beziehung bedeutungsvoll. 50 Und wo etc. In Rom. 57 In der Trennung von Allem, was dir lieb ist, wirst du zuerst empfinden, wie schmerzhaft die Verbannung sei. 65 Wahrscheinlich Hindeutung auf die S. 23 der Einleitung erzählte Begebenheit. 70 Ein Adler, auf einer Leiter sitzend, war das Wappen der Scaliger. Diese Verse deuten also auf die Zuflucht, die Dante, zuerst auf längere Zeit, in Verona fand. Bei dem Marchese Malaspina hat er sich nur kurze Zeit aufgehalten (S. Einl.) 76 Ihn, den großen Can della Scala, welchem hier großer Kriegsruhm verkündigt wird. Dieser war im Jahre 1300 erst neun Jahre alt. 83 Der Cascogner, Papst Clemens der Fünfte. Heinrich zog, wie S. 16 der Einleitung bemerkt ist, am Schlusse des Jahres 1310 nach Italien. Damals war also Can della Scala 19 Jahre alt. Durch welche Thatsachen er vorher schon Proben ungebeugten Muthes gegeben, ist nicht ermittelt. 111 Dante fürchtet, daß die vielen bittern Wahrheiten, welche er in seinem Gedicht über die Zeitgenossen werde sagen müssen, ihm so viele Feinde machen möchten, daß er, aus Florenz verjagt, nirgends eine Zuflucht finden werde. 129 Das italienische Sprichwort ist noch stärker: Laß nur kratzen, wo die Krätze ist. |