Das Paradies. |
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Neunter Gesang. |
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1 | Noch sprach dein Karl, als er mich aufgeklärt, |
Schöne Clemenza, von den Ränkevollen, 2 | |
Durch welche schnöden Trug sein Sam' erfährt. | |
4 | Doch sagt' er: "Schweig, und laß die Jahre rollen!" |
Drum sag' ich nur, daß eurem Schaden bald | |
Gerechte Straf' und Klage folgen sollen. 4-6 | |
7 | Schon war das Leben jener Lichtgestalt 7 |
Zur Sonn', in deren Strahl es ganz genesen, | |
Zum Gut, das Allem gnügt, zurückgewallt. | |
10 | Betrogne Seelen, gottvergeßne Wesen! |
Was wendet ihr das Herz von solchem Gut, | |
Und habt nur Eitelkeit zum Ziel erlesen! | |
13 | Und sieh, ein andres jener Lichter lud |
Mich, nahend, ein, und zeigte seinen Willen | |
Mich zu befriedigen, in hell'rer Glut. | |
16 | Beatrix, die den Blick, den heil'gen, stillen, |
Auf mich gewandt, wie erst, erlaubte mir | |
Durch theure Zustimmung, den Wunsch zu stillen. | |
19 | Ich sprach: "" O gnüge meiner Wißbegier, |
Bewähr, o Geist, den Fried' und Lust durchdringen, | |
Daß, was ich denke, wiederstrahl' in dir."" | |
22 | Das Licht, daß ich aus seinem Innern singen |
Vorher gehört, sprach, mir noch unbekannt, | |
Wie der, den's freut, das Gute zu vollbringen: | |
25 | "Dort im verkehrten schnöden, welschen Land, 25 ff. |
Zwischen der Brenta und der Piave Quelle | |
Und des Rialto meerumfloßnem Strand, | |
28 | Dort hat ein nied'rer Hügel seine Stelle; |
Von ihm herab stürzt' eine Fackel sich | |
Und macht in grausem Brand die Gegend helle. | |
31 | Aus einer Wurzel sproßten Sie und Ich. |
Ich, einst Cunizza, glänz' ind diesem Sterne, | |
Denn seines Schimmers Reiz besiegte mich. | |
34 | Und meines Schicksals Grund verzeih' ich gerne 34 |
Mir selber hier, da's mir nicht bitter dünkt, | |
So schwer eu'r Pöbel dies auch fassen lerne. | |
37 | Sieh diesen Glanz, der mir am nächsten blinkt 37 |
In unserm Kreis, den leuchtenden, den theuern! | |
Groß blieb sein Ruhm, und, eh' er ganz versinkt, | |
40 | Wird fünfmal das Jahrhundert sich erneuern. |
Sieh, wenn das erste Sein ein zweites schenkt, | |
Soll dies zur Trefflichkeit euch nicht befeuern? | |
43 | Doch dies ist's nicht, woran die Rotte denkt, 43 |
Die Tagliamento hier, dort Etsch umfließen, | |
Die selbst das Unglück nicht zur Reue lenkt. | |
46 | Doch färbend wird sich Padua's Blut ergießen 46 |
Zum Sumpfe, der Vicenza's Mauer wahrt, | |
Weil die Verstockten sich der Pflicht verschließen. | |
49 | Und dort, wo sich Cagnan mit Sile paart, 49 |
Herrscht Einer, hoch die stolze Stirne tragend, | |
Zu dessen Fang das Netz schon fertig ward. | |
52 | Schon seh' ich Feltre den Verrath beklagend |
Des Hirten, der dort herrscht, an Schändlichkeit, | |
Was Malta je verborgen, überragend. | |
55 | Kein Faß auf Erden ist so hohl und weit, |
Um alles Ferrareser Blut zu fassen, | |
Das zum Geschenk der wackre Pfaff verleiht, | |
58 | Um als Parteiglied recht sich sehn zu lassen; |
Und solcherlei Geschenk wird wohl zum Geist | |
Und zu des Landes Art und Leben passen 52-60 | |
61 | Von hohen Spiegeln, die ihr Throne heißt, 61 |
Glänzt Gott, der Richtende, zu uns hernieder, | |
Worin als wahr sich, was ich sprach, erweißt." | |
64 | Sie sprach's, von mir gekehrt, und wandte wieder |
Sich hin zu ihrem Kreis, wo sie verschwand, | |
So wie sie kam, beim Klang der Himmelslieder. | |
67 | Die andre Wonne, mir bereits bekannt, 67 |
Sie ward von mir zu höherm Glanz erhoben, | |
Wie in der Sonne Blitz der Diamant. | |
70 | Durch Freudigkeit erwirbt man Glanz dort oben |
Wie Lächeln hier; so hält bei innrer Pein 72 | |
Der Schatten drunten die Gestalt umwoben. | |
73 | ""Alles sieht Gott, - du siehst in Seinen Schein,"" |
Sprach ich, ""und kann in Ihn dein Auge dringen, | |
So muß dir klar sein ganzer Wille sein. | |
76 | Drum deine Stimme, die im frommen Singen, 76 |
Den Himmel mit dem Sang der Feuer letzt, | |
Die sich bekleiden mit sechsfachen Schwingen, | |
79 | Warum nicht g'nügt sie meinen Wünschen jetzt? |
Auch ungefragt, harrt' ich so lang nicht säumend, | |
Wär ich in dich, wie du in mich versetzt."" - | |
82 | "Das größte Thal, worin das Wasser schäumend 82 ff. |
Sich ausgedehnt," begann des Sel'gen Wort, | |
"Außer dem Meere, rings die Erd' umsäumend, | |
85 | Geht zwischen Feindesufern westlich fort, |
So weit, daß hier, an seinem letzten Strande, | |
Gesichtskreis ist, was Mittagsbogen dort. | |
88 | Ich lebt' an dieses großen Thales Rande 88 |
Zwischen Ebro und Macra, die, nicht lang, | |
Trennt Genua's Gebiet vom Tusker-Lande. | |
91 | Fast einen Aufgang hat und Niedergang |
Buggéa und die Stadt, der ich entsprossen, | |
Sie, deren Blut einst warm den Port durchdrang. | |
94 | Mich hießen Folco meine Zeitgenossen, |
Und diesen Stern schmückt meine Freudigkeit, | |
Wie dort sein Licht sich in mein Herz ergossen. | |
97 | Nicht zu Sichäus und Creusa's Leid 97 |
Fühlt' in sich Dido solche Flammen wogen, | |
Wie ich einst fühlt' in meiner Jugendzeit; | |
100 | Nicht Phillis, von Demophoon betrogen, |
Und nicht Alcid, nachdem in seine Brust | |
Eurytos Tochter siegend eingezogen. | |
103 | Doch fühlt man hier nicht Reue drob, nein Lust |
Ganz die Erinnerung der Schuld verlierend, | |
Und nur des ew'gen Ordners sich bewußt. | |
106 | Und jene Kunst, die Welten herrlich zierend, |
Sehn wir, und sehn zu gutem Zwecke nun | |
Die obre Welt die untere regierend. | |
109 | Doch um dem Wunsche ganz genug zu thun, |
Der dich durchdrungen hat in dieser Sphäre, | |
Darf ich doch nicht in meiner Rede ruhn. | |
112 | Du möchtest wissen, wer der Schimmer wäre, |
Der nahe hier so strahlt, als ob die Glut | |
Der Sonn' in reinem Wasser sich verkläre. | |
115 | So wisse, daß darinnen Rahab ruht, 115 |
Die hier in unsern Orden aufgenommen, | |
Sich kund im höchsten Glanz des Sternes thut. | |
118 | Vor jedem andern Geist der Höll' entnommen, |
Ist sie zum Stern, wo sich vom Erdenrund 119 | |
Der Schatten spitzt, durch Christi Sieg gekommen. | |
121 | Der Sieg, den Er, an beiden Händen wund, |
Errungen hat, wird hier von ihr verkündet; | |
Den Himmeln thut sie als Trophä' ihn kund, | |
124 | Weil Sie des Josua ersten Ruhm begründet |
Durch ihre Hülf' in jenem heil'gen Land, | |
Das jetzt der Papst kaum werth der Sorge findet. | |
127 | Und deine Stadt, die einst durch den entstand, 127 |
Deß Neid euch alles Mißgeschick bereitet, | |
Und der zuerst von Gott sich abgewandt, | |
130 | Sie ist's, die das verfluchte Geld verbreitet, |
Das einzig, weil's zum Wolf den Hirten macht, | |
Vom rechten Wege Schaf' und Lämmer leitet. | |
133 | Drum wird nicht an die Bibel mehr gedacht, |
Doch hat man sehr genau - wär's zu verhehlen, | |
So zeigt's der Rand - der Decretalen Acht. | |
136 | Drin wird studirt von Papst und Kardinälen |
Und Nazareth, wo Gabriel das Wort | |
Verkündigt hat, wird fremd den geiz'gen Seelen. | |
139 | Doch, Vatikan, sammt jedem heil'gen Ort |
In Rom, wo Petri Folger einst gepredigt, | |
Der Märtyrer geweihte Gräber dort, | |
142 | Bald werden sie des Ehebruchs entledigt. |
Erläuterungen:
2 Clemenza, die Tochter des Karl Martell, Ludwigs X. von Frankreich Gemahlin. - Von den Ränkevollen, von denjenigen, durch deren Betrug Karls Kinder von der Erbfolge ausgeschlossen wurden. 4-6 S. die Anmerkung zu V. 71 ff. des vorigen Gesanges. 7 Das Licht, in welchem die Seligen erscheinen, ist nur ihr Gewand; in demselben ist ihr wahres Wesen, ihr Leben. 25 ff. Die Sprechende ist die Schwester des berüchtigten Tyrannen Ezzelino da Romano, den wir in der Hölle Ges. 12 V. 110 bis an das Stirnhaar im siedenden Blutstrom eingetaucht gefunden haben. Sie soll mehr als billig der irdischen Liebe ergeben gewesen sein. In V. 26 u. 27 ist die Lage des Schlosses Romano bezeichnet. 34 Die bereute und in der Lethe abgewaschene Schuld hört auf, ein Gegenstand der Betrübniß und des innern Vorwurfs zu sein. (S. Fegefeuer Ges. 28. V. 127 und 128). 37 Cunizza weist hin auf den Folco von Marseille, einen berühmten provenzalischen Liebesdichter, welchem sie lang dauernden Ruhm voraussagt. Späterhin soll er Mönch und Bischof von Marseille geworden sein. 43 Die Einwohner der Mark Trevigi. 46 Die Paduaner erlitten mehrere Niederlagen bei Vicenza in den Jahren 1311, 1314 und 1318. 49 Die hier benannten beiden Flüsse vereinigen sich bei Trevigi, wo im Jahre 1300 Richard da Cammino herrschte, der 1312 beim Schachspiel erschlagen wurde. 52 - 60 Nach Feltre, einer Stadt der Trevisaner Mark, flüchteten sich mehrere Einwohner von Ferrara, welche gegen den Papst gekämpft hatten, und ergaben sich dem dortigen Erzbischof als Gefangene. Dieser aber lieferte sie an den Gouverneur von Ferrara aus, welcher sie alle ermorden ließ. Dadurch zeigte sich der Erzbischof glänzend als Anhänger des Papstes, und handelte, wie man in Feltre zu handeln gewohnt war. Malta oder Marta, ein Ort, an welchem sich ein Kerker befand, den die Päpste zur Einsperrung der schlechtesten Geistlichen zu verwenden pflegten. 61 Von hohen Spiegeln, von Engeln, über deren Hierarchi der Ges. 28 nähere Auskunft geben wird. 67 Der Selige, von welchem Cunizza im V. 37 dieses Gesanges gesprochen hat. 72 Drunten in der Hölle. 76 Die Seligen singen gemeinschaftlich mit den Seraphinen (den Feuern, weil jener Name in der Ursprache dies bezeichnen soll). Jesaias, Kap. 6. V. 2, sagt von ihnen: ein Jeglicher hatte sechs Flügel: mit zween deckten sie ihr Antlitz, mit zween deckten sie ihre Füße, und mit zween flogen sie. - Man wird nicht umhin können, den Vorwurf, welchen der Dichter hier dem Folco über sein weniges Entgegenkommen und sein zu langes Säumen macht, etwas sonderbar zu finden, da, nach dem, was wir schon über den Zustand der Seligen erfahren haben, Folco, Gott schauend, nichts thun kann, was nicht dem höchsten Willen entsprechend wäre. 82 ff. Das größte Binnenmeer, das mittelländische, welches nur dem Weltmeere an Größe nachsteht und gegen Norden von christlichen, gegen Süden von mohamedanischen Staaten begränzt wird. Ueber die Berechnung seiner Ausdehnung s. Anm. zum Fegefeuer Ges. 27 V. 1 - 5. 88 Die Ausleger streiten sich, ob unter dem Ebro der bekannte groß Fluß in Spanien, oder ein kleiner Fluß zwischen Monaco und Nizza, welchen Lombardi nirgends hat erfragen können, ob folglich mit der Stadt, wo Folco gelebt, Marseille, oder Genua gemeint sei. Da sie mit der Stadt Bugia in Afrika nach V. 91 fast unter einem Meridian liegen soll, so ist wahrscheinlich Marseille gemeint. Das Blut V. 93 soll an die Belagerung erinnern, welche die Stadt unter Cäsar erlitt. 97 Der Liebesdichter ist in dem Sterne, welcher diejenigen aufnimmt, welche irdischer Liebe zu sehr ergeben waren. Er selbst versichert, daß er mehr von ihr entglüht gewesen sei, als die berühmtesten Liebenden des Alterthums. 115 Rahab, die Hure von Jericho, verbarg und rettete die Kundschafter Josua's, und wurde dafür bei der Zerstörung dieser Stadt verschont. In der Epistel an die Hebräer Kap. 11 V. 31 heißt es von ihr: "Durch den Glauben ward die Hure Rahab nicht verloren mit den Ungläubigen, da sie die Kundschafter freundlich aufnahm." Dies, und das, was V. 124 von ihr gesagt wird, erklärt ihr Hiersein und ihren vorzüglichen Glanz. 119 Nach Ptolemäus reicht der kegelförmige Schatten der Erde bis zur Venus. 127 Nach dem Vorwurf, den der Dichter im vorigen Verse dem Papst gemacht, daß er sich um das heilige Land nicht bekümmere, entwickelt er die Gründe, aus welchen diese Achtlosigkeit herrührt. In Florenz war eine Hauptmünzstätte, von wo die Floren ausgingen. Deshalb glaubt er die Stadt vom Teufel selbst gegründet, denn dies Geld macht den Hirten zum Wolf. Es verursacht, daß man nicht die Bibel, sondern die Decretalen, die kirchlichen Gesetze, studirt, aus denen zu ersehen ist, in welchen Fällen die Priester für Indulgenzen, Dispensationen etc. Geld verdienen können. Wie fleißig man darin studire, zeigt der beschmutzte und abgegriffene Rand des Buches. Aber bald wird eine andere Ordnung der Dinge eintreten, und Rom wird nicht mehr Zeugin sein, daß der Papst, seiner Braut, der Kirche, untreu, um andere Dinge buhle. - Die Ausleger sind nicht einig, welches Ereigniß der Dichter mit dieser letzteren Andeutung gemeint habe. Das Auskramen von Ueberweisheit ist aber hier so überflüssig, wie an den meisten anderen Orten. Hätte Dante ein gewisses Ereigniß bestimmt im Sinne gehabt, so würde er's wohl bezeichnet haben. Wahrscheinlich meinte er Alles, was, eine Besserung des schlechten Zustandes versprechend, schon eingetreten war, und was, seinen Wünschen und Hoffnungen gemäß, noch eintreten sollte. |