Uebersicht  

Die Hölle.

Zweiunddreißigster Gesang.

1 O hätt' ich Reime von so heiserm Schalle,
  So rauh, wie sie erheischt dies Loch voll Graus
  Auf welchem ruhn die andern Felsen alle,  3
4 Dann drückt' ich, was ich will, vollkommner aus,
  Doch, sie nicht habend, geh' ich nur mit Bangen
  Jetzt an die Rede, wie zum harten Straus.
7 Denn nichr ein Spiel ist ja mein Unterfangen,
  Den Grund des Alls dem Liede zu vertrau'n,  8
  Und nicht mit Kinderlallen auszulangen.
10 Doch fördern meine Reim' jetzt jene Frau'n,  10
  Amphions Hülf' an Thebens Mau'r und Thoren,
  Dann wohl entspricht mein Lied der That an Grau'n.
13 O schlecht'ster Pöbel an dem Ort verloren,
  Der hart zu schildern ist, o wär'st du doch,
  In unsrer Welt als Zieg' und Schaf geboren.
16 Wir waren nun im dunkeln Brunnenloch  16
  Tief unterm Riesen, näher schon der Mitte,
  Und nach der hohen Mauer sah ich noch.
19 Da hört' ich sagen: "Schau' auf deine Schritte,
  Daß du den Armen nicht im Weiterziehn
  Die Häupter stampfen magst mit deinem Tritte."
22 Drum wandt' ich mich, und vor mir hin erschien,
  Und unter meinen Füßen auch, ein Weiher,
  Der durch den Frost Glas, und nicht Wasser schien,
25 Die Donau bleibt im Frost vom Eise freier,
  Und nah dem Pohl, selbst in der längsten Nacht
  Deckt nicht den Tanais ein so dichter Schleier.
28 Und wäre Tabernik herabgekracht  
  Und Pietrapan, nicht hätte nur am Saume  28-29
  Bei ihrem Sturz das Eis krick krick gemacht.  30
31 Wie Abends, wenn die Bäuerin im Traume
  Noch Aehren lies't - die Schnauze vorgestreckt,
  Der Frösche Volk quäkt aus dem nassen Raume;
34 So bis dahin, wo sich die Scham entdeckt,
  Fahl, mit dem Ton des Storchs die Zähne schlagend,
  War elend Geistervolk im Eis versteckt,
37 Zur Tiefe hingewandt das Antlitz tragend,
  Vom Froste mit dem Mund, und von den Weh'n
  Des Herzens mit dem Auge Zeugniß sagend.
40 Als ich ein Weilchen erst mich umgesehn,
  Schaut' ich zum Boden hin und sah von oben
  Zwei, eng umfaßt, vermischt das Haupthaar, stehn.
43 ""Ihr, die ihr drängend Brust an Brust geschoben,
  Wer seid ihr?"" sprach ich - dann, als sie auf mich,
  Die Hälse rückend, ihre Blick' erhoben,
46 Sah ich die Augen, feucht erst innerlich,
  Von Thränen träufeln, die, noch kaum ergossen,
  Zu Eis erstarrten; und sie schlossen sich,
49 Fest, wie nie Klammern Holz an Holz geschlossen,
  Drum stießen sich im Grimme wilden Streits,
  Gleich zweien Böcken, diese Qualgenossen.
52 Und Einer, der sein Ohrenpaar bereits
  Durch Frost verlor, brach, stets gebückt, das Schweigen:
  "Was hängst du so am Schauspiel unsres Leids?
55 Soll ich, wer diese beiden sind, dir zeigen?  55
  Das Thal, das des Bisenzio Flut benetzt,
  War ihnen einst und ihrem Vater eigen,
58 Ein Leib gebar sie, und durchsuche jetzt
  Kaina ganz, du findest sicher Keinen
  Mit besserm Grund in dieses Eis versetzt;
61 Nicht ihn, deß Brust und Schatten einst durch einen  61
  Stoß seines Speers durchbohrt des Artus Hand;
  Focaccia nicht, noch ihn, des Kopf den meinen  63
64 So deckt, daß mir die Aussicht gänzlich schwand,
  Den, hörst du Sassol Mascheroni nennen,  65
  Du, ein Toskaner, sicher leicht erkannt.
67 Jetzt hör', um mir nur schleunig Ruh zu gönnen,
  Ich, Camicion, erwarte den Carlin,  68
  Und werde neben ihm mich brüsten können."
70 Noch sah ich viele Hundesfratzen ziehn
  Vor großem Frost in diesem tiefen Kreise,
  Und schaudre noch vor dem, was mir erschien.
73 Und weiter ging zum Mittelpunkt die Reise,  73
  Auf welchem ruht des ganzen Alls Gewicht,
  Und selber zittert' ich beim ew'gen Eise.
76 War's Vorsatz, war's Geschick - ich weiß es nicht,
  Genug, es stieß mein Fuß beim Weitergehen
  Durch viele Häupter, eins ins Angesicht.
79 "Was trittst du mich" - so hört ich's heulend schmähen,
  "Rächst du noch schärfer Montapert an mir?  80
  Wenn aber nicht, weswegen ist's geschehen? -"
82 ""Mein Meister,"" sprach ich, ""harr' ein wenig hier,
  Denn gern belehrt' ich mich von diesem näher,
  Dann folg' ich, wie dir's gut dünkt, eilig dir.""
85 Still stand, wie ich gewünscht, der hohe Seher,
  Und Jener fluchte noch so wild wie erst,
  Da sprach ich: ""Wer bist du, du arger Schmäher?""
88 "Und du, der du durch Antenora fährst,"
  Sprach er, "wer du, der so stößt Andrer Wangen,
  Daß es zu arg wär', wenn du lebend wärst?"
91 ""Ich lebe,"" sagt' ich. ""Hättest du Verlangen
  Nach Ruf, so wird er dir durch mich zu Theil,
  Drum wirst du wohl mit Freuden mich empfangen.""
94 Drauf Er: "Ich wünsche nur das Gegentheil,
  Drum packe dich, in diesen Eisesmassen
Verspricht solch Schmeichelwort ein schlechtes Heil."
97 Da griff ich nieder, ihn beim Schopf zu fassen,
  Und sagt' ihm: ""Nöthig wird's, daß du dich nennst,
  Soll ich ein Haar auf deinem Kopfe lassen.""
100 Und Er: "Ob du mich zausen magst, du kennst
Mich dennoch nicht - nichts sollst du hier erkunden,
Wenn du mir tausendmal ins Antlitz rennst."
103 Ich hielt sein Haar um meine Hand gewunden,  103
  Und ob schon ausgerauft manch Büschel war,
Schaut er hinab, und bellte gleich den Hunden.
106 Da rief ein Andrer: "Bocca, nun fürwahr,
Du ließest schon genug die Kiefern klingen,
Jetzt bellst du noch? Plagt dich der Teufel gar?"
109 ""Dich,"" rief ich, ""mag ich nicht zum Reden zwingen,
Verräther du, allein zu deiner Schmach
Will ich zur Erde wahre Nachricht bringen.""
112 "Erzähle, was du willst, doch hintennach,"
Rief Bocca, "magst du diesen nur nicht schonen,
Der eben jetzo so geläufig sprach.
115 Sieh ihn fürs Gold der Franken hier belohnen,
Und sage, daß Duera da nicht fehlt,  116
Wo ziemlich kühl und frisch die Sünder wohnen,
118 Und fragt man noch, wen sonst dies Eis verhehlt,
Dort sieh'st du Becheria's Augen triefen,  119
Den jüngst die Florentiner abgekehlt.
121 Auch wohnt Soldanier jetzt in diesen Tiefen,
Gau, Tribadello, der Faënza's Thor
Den Feinden aufschloß, da noch Alle schliefen."  121-123
124 Wir gingen fort und etwas weiter vor
War Haupt auf Haupt gedrückt, ein Paar zu finden,
Das fest in einem Loch zusammenfror.
127 Wie man aus Hunger nagt an harten Rinden,
So fraß der Obre hier den Untern an,
Da wo sich Nacken und Gehirn verbinden.
130 Wie in die Schläfe Menalipps den Zahn  130
Einst Tideus voll von wilder Wuth geschlagen,
So ward von ihm dem Schädel hier gethan,
133 ""O du, der du mit viehischem Behagen
  Den Haß an diesem stillst, an dem du nagst,
  Weshalb,"" begann ich, ""magst du dich beklagen?
136 Und hör' ich, daß du dich mit Recht beklagst,
  Und wer er sei, und was dein Nagen räche,
  So sollst du dort erstehn, wo du erlagst.  138
139 Wenn diese nicht verdorrt, mit der ich spreche.""

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Dreiunddreißigster Gesang

Erläuterungen:

3 Der Felsendamm, der um den achten Kreis herumläuft, trägt das obere Gebäude, insonderheit zunächst diejenigen Felsen, welche quer über die verschiedenen Abtheilungen des achten Kreises springen und den Reisenden als Brücken gedient haben.

8 Nach dem Ptolemäischen System dreht sich der Himmel mit allen seinen Sternen um die Erde - der Mittelpunkt der Erde muß daher auch der des Universums sein.

10 Amphion erbaute die Mauern von Theben und die sieben Thore dieser Stadt. Hierbei halfen ihm die Musen, die ihn zu Tönen begeisterten, durch welche selbst die Steine bewegt wurden, sich zu dem Bauwerke zusammenzufügen.

16 In diesem Brunnen stecken die Verräther bis an den Kopf in Eis, das sie ewig festhält und zum Theil an einander fesselt. Die Thränen selbst, die sie vergießen, werden, so wie sie herausdringen, zu Eisklumpen. Hiermit ist der Zustand bezeichnet, in welchen das schlimmste aller Verbrechen den Sünder versetzt. Ein ewiger Todesschauer ist es, welcher den Verbrecher zugleich peinigt und an die Pein fesselt, ihm jede Bewegung, jede Möglichkeit eines Rücktritts zum Bessern raubt, ja selbst der Thräne des Schmerzes und der Reue ihre lindernde Kraft nimmt, und sie zur Ursache neuer Qual macht. Dieser Kreis ist in vier verschiedene Bezirke getheilt, die der Dichter nicht, wie weitern Fortschreiten nur beiläufig nennt.

Der Mauer zunächst ist Kaina, vom Brudermörder Kain benannt, wo diejenigen bestraft werden, die ihre Verwandten verrathen. Hierauf folgt Antenora, wo wir die Verräther des Vaterlandes finden, benannt vom Trojaner Antenor, welchem man vorwirft, den Griechen beim Raube des Palladiums beigestanden zu haben. Die Angesichter der in beiden Abtheilungen eingefrorenen Sünder sind hinabwärts gekehrt. In der dritten dagegen richten sich die Gesichter aufwärts, eine Stellung, die besonders in der Kälte weniger Strafe andeuten soll. Sie heißt Ptolommäa, von Ptolemäus, König von Aegypten, der das Vertrauen des großen Pompejus in seine Gastfreundschaft durch Verrath vergalt. Hier sind die Verräther an besonderem Vertrauen. - In der vierten, Judecca, benannt von Judas, stecken die Verräther ihrer Wohlthäter ganz im Eise, wie Splitterchen im Glase. Doch finden die gräulichsten Sünder dieser Art ganz im Mittelpunkte ihre besondere Strafe, indem Dis, das Oberhaupt der empörten Engel, dort eingepfählt ist, und mit dreien Rachen den Judas, Cassius und Brutus fortwährend zermalmt.

28-29 Berge in Slavonien und Toskana.

30 Krick, Bezeichnung des Tons, welchen das Eis von sich giebt, wenn es zerspringt.

55 Unter den Verräthern ihrer Verwandten, die in Kaina bestraft werden, finden wir zuerst Alexander und Napoleon degli Alberti, deren Vater das Thal Falterona besaß, durch welches der kleine Fluß Bisenzio dem Arno zufließt. Nach dem Tode des Vaters geriethen sie in Streit über die Erbschaft und tödteten sich gegenseitig.

61 Mordrec, Sohn des fabelhaften Königs Arthur von Britannien, legte sich nach der Sage in einen Hinterhalt, um seinen Vater zu ermorden. Aber dieser kam der Frevelthat zuvor, indem er mit der Lanze den Sohn dergestalt durchbohrte, daß die Sonne durch die Wunde schien.

63 Focaccia Cancellieri von Pistoja hieb einem seiner Vettern die Hand ab und tödtete seinen Oheim. Dadurch gab er die erste Veranlassung dazu, daß sein Geschlecht, die Bürger von Pistoja und die von Florenz, sich in die Parteien der Schwarzen und Weißen theilten.

65 Sassol Mascheroni, ein Florentiner, Mörder seines Oheims.

68 Camicione, aus dem Geschlecht der Pazzi, ein Verwandten-Mörder, erwartet den Carlin, aus demselben Geschlechte, den er für einen weit ärgern Verbrecher hält.

73 Weiter zur zweiten Abtheilung Antenora (V. 88), welche die Verräther des Vaterlandes enthält.

80 Bocca degli Abbatti hieb im Anfange der Schlacht von Montaperti an der Arbia dem Bannerträger der Guelfen, zu welchen er selbst gehörte, dem Jacob del Nachacha de Pazzi, mit dem Schwerte die Hand ab, und veranlaßte dadurch den Verlust der Schlacht.

103 Ueber die hier zu bemerkende sehr solide Körperlichkeit der Schatten werden wir in der Seherin von Prevorst, welche die modernen Gläubigen so sehr erbaut hat, willkommene Auskunft finden. Wenn wir darin die Geister Bier trinken, mit Steinen werfen und andere Thaten dieser Art vollbringen sehen, so werden wir uns nicht mehr verwundern, wenn der Dichter hier einem Verdammten, um ihm seinen Abscheu zu zeigen, die Haare ausrauft.

116 Buoso da Duera, ein Cremoneser, gestattete, von dem französischen General Guido von Montfort bestochen, dessen Durchzug durch Puglien.

119 Becheria von Pavia, Abt von Valombrosa. Man entdeckte bei ihm eine Verhandlung, nach welcher Florenz den Ghibellinen in die Hände geliefert werden sollte, ind schnitt ihm dafür den Kopf ab.

121-123 Soldanier, ein Ghibellin, welcher zu Gunsten der Guelfen, zum Verräther an seiner Partei ward. - Gan von Mainz, der im Sagenkreise Karls des Großen, insonderheit in Ariosts fünf Gesängen, den Verräther und im Allgemeinen die schlechte Person spielt. - Tribaldello öffnete des Nachts den Franzosen ein Thor von Fäenza.

130 Tideus befand sich im Thebanischen Kriege unter den Belagerern der Stadt; indem er mit Menalipp kämpfte, tödteten sich beide, und Tideus nagte, wie Statius erzählt, noch sterbend aus Wuth an den Schläfen des eben verschiedenen Feindes.

138 Du sollst zum Lohne für die Auskunft auf Erden, wo man dir die Ehre raubte, wieder zu Ehren kommen, wenn meine Zunge nicht verdorrt.