Uebersicht

Die Hölle.

Dreißigster Gesang.

1 Zur Zeit, da Juno's Herz in Zorn gerathen  1
  Ob Semele's, in Zorn auf Thebens Blut,
  Wie sie so manches Mal gezeigt durch Thaten,
4 Ergriff den Athamas so tolle Wuth,
  Daß er, als auf sein Weib der Blick gefallen,
  Das jeden Arm mit einem Sohn belud,
7 Den wilden Ruf des Wahnsinns ließ erschallen:
  "Die Löwin sammt den Jungen sei gefaßt!"
  Dann streckt' er aus die mitleidlosen Krallen;
10 Und wie er Einen, den Learch, mit Hast
  Gepackt, geschwenkt und am Gestein zerschlagen,
  Ertränkte sie sich mit der zweiten Last.
13 Und als das Glück, das Alles kühn zu wagen,
  Die stolzen Troer trieb, sein Rad gewandt,
  So daß zusammen Reich und Fürst erlagen,
16 Und Hekuba, gefangen und verbannt,  16
  Geopfert die Polyxena erblickte,
  Und sie ihr Mißgeschick an Thraciens Strand
19 Zum Leichnam ihres Polidorus schickte,
  Da bellte sie wahnsinnig wie ein Hund,
  Weil Schmerz den Geist verkehrt' und ganz bestrickte.
22 Doch nichts in Theben ward noch Troja kund
  Von einer Wuth, die Vieh und Menschen packte,
  Wie ich hier sah in diesem zehnten Schlund.  24
25 Ein Paar von Geistern, todtenfahle, nackte,
  Brach vor, so wie aus seinem Stall das Schwein,
  Indem's auf Alles mit den Zähnen hackte.
28 Der schlug sie in den Hals Capocchio's ein,
  Und schleppt' ihn fort, und nicht gar sanft gerieben
  Ward ihm dabei der Bauch am harten Stein.
31 Der Aretiner, der voll Angst geblieben,
  Sprach: "Schicchi ist's, der tolle Poltergeist,  32
  Der solch ein wüthend Spiel schon oft getrieben."
34 ""Wie du geschützt von Jenes Zähnen seist,""
  Entgegnet' ich, ""so sprich, eh' er entronnen,
  Wer dieser Schatten ist, und wie er heißt.""
37 "Die Myrrha ist's, die schnöden Trug ersonnen,"  37
  Erwiedert' er, "die mehr als sich gebührt,
  Vor alter Zeit den Vater liebgewonnen,
40 Und die mit ihm das Werk der Lust vollführt,
  Weil sie die fremde Form sich angedichtet;
  Wie Jener, den Campocchio dort entführt,
43 Weil Simon ihn durchs beste Roß verpflichtet,
  Als falscher Buoso sich ins Bett gelegt
  Und so für ihn ein Testament errichtet."
46 Als nun die Tollen sich vorbeibewegt,  
  Ließ ich mein Auge durch die Tiefe streichen,
  Und sah' was sonst der Schlund an Sündern hegt.
49 Der Eine war der Laute zu vergleichen,  49
  Hätt' ihm ein Schnitt die Gabel weggeschafft,
  Die jeder Mensch hat abwärts von den Weichen.
52 Die Wassersucht, durch schlecht verkochten Saft
  Ein Glied abmagernd und das andre blähend,
  Die hart den Bauch macht, das Gesicht erschlafft,
55 Hielt ihm die beiden Lippen offenstehend,
  Die nach dem Kinn, und die emporgekehrt,
  Und dem Schwindsücht'gen gleich, vor Durst vergehend.
58 "Ihr, die ihr schmerzlos geht und unversehrt,
  Wie? weiß ich nicht in diesen Schmerzens-Thalen,"
  Er sprach's, "o schaut und merkt und seid belehrt
61 Von Meister Adams schreckenvollen Qualen.
  Kein Tröpflein, ach, stillt hier des Durstes Glühn:
  Dort konnt' ich, was ich nur gewünscht, bezahlen.
64 Die muntern Bächlein, die vom Hügelgrün
  Des Casentin zum Arno niederrollen,
  Und frisch und lind des Bettes Rand besprühn,
67 Ach, daß sie mir sich ewig zeigen sollen,
  Und nicht umsonst - mehr, als die Wassersucht,
  Entflammt dies Bild den Durst des Jammervollen.
70 Denn die Gerechtigkeit, die mich verflucht,
  Treibt durch den Ort, wo ich in Schuld verfallen,
  Zu größrer Eile meiner Seufzer Flucht.
73 Dort liegt Romena, wo ich mit Metallen
  Geringern Werths verfälscht das gute Geld,
  Weshalb ich dort der Flamm' anheimgefallen.
76 Doch wäre Guido nur mir beigesellt,  76
  Und Jeder, der zum Laster mich verführte,
  Ich gäbe drum den schönsten Quell der Welt.
79 Zwar, wenn der Tolle Wahrheit sagt, so spürte
  Er jüngst den Einen auf in dieser Nacht.
  Doch da dies Uebel meine Glieder schnürte,
82 Was hilft es mir? Hätt' ich nur so viel Macht,
  Um zollweis' im Jahrhundert vorzuschreiten,
  Ich hätte schon mich auf den Weg gemacht,
85 Ihn suchend durch dies Thal nach allen Seiten,
  Mag's in der Rund' auch sich eilf Miglien ziehn,  86
  Und minder nicht als eine halbe breiten.
88 Bei diesen Krüppeln hier bin ich durch ihn,
  Denn er hat mich verführt, daß ich den Gulden
  An schlechtem Zusatz drei Karat verliehn."
91 Und ich : ""Was mochten jene Zwei verschulden,
  Die, dampfend, wie im Frost die nasse Hand
  Fest an dir liegend, ihre Straf' erdulden?""
94 Er sprach: "Sie liegen fest, wie ich sie fand,
  Als ich hierher geschneit nach Minos Winken,
Und werden ewiglich nicht umgewandt,
97 Die ist das Weib des Potiphar; zur Linken  
  Liegt Sinon mir, berühmt durch Troja's Roß. 97-98
  Im faulen Fieber liegen sie und stinken."
100 Und dieser Letzte, den's vielleicht verdroß,  100
Daß Meister Adams Wort ihn so verhöhnte,
Gab auf den harten Wanst ihm einen Stoß,
103 Daß dieser gleich der besten Trommel tönte.
  Doch in das Angesicht des Andern warf
Herr Adam die gleich harte Faust und stöhnte:
106 "Ob ich mich gleich nicht fortbewegen darf,
Doch ist mein Arm noch, wie du eben spürtest,
Noch frei und flink zu solcherlei Bedarf."
109 "Als du zum Feuer gingst," rief Sinon, "rührtest
Du nicht den Arm schnell, wie er eben war,
Doch schneller, da du einst den Stempel führtest."
112 Der Wassersücht'ge: "Darin sprichst du wahr.
Doch stelltest du in Troja kein Exempel
Von einem so wahrhaft'gen Zeugniß dar."
115 "Fälscht' ich das Wort, so fälschest du den Stempel.
Hier bin ich doch für einen Fehler nur,
Du aber dientest stets in Satans Tempel."
118 So Sinon. "Denk' ans Roß, du Schelm!" so fuhr
Ihn Jener an mit dem geschwollnen Bauche,
"Qual sei dir, daß es alle Welt erfuhr."
121 "Qual sei dir," rief der Grieche drauf, "die Jauche,
Und blähe stets zum Bollwerk deinen Wanst,
Der Durst, der deine Zung' in Flammen tauche."
124 Der Münzer: Der du stets auf Lügen sannst,
Dein Maul zerreiße dir für solch Erfrechen!
Wenn du mich dürstend schwellend sehen kannst,
127 So möge Durst dich quälen, Kopfweh stechen,
Spräch' Einer kurz: Sauf aus den ganzen Bach!
Du würdest dessen wohl dich nicht entbrechen."
130 Ich horchte stumm, was Der und Jener sprach,
Da rief Virgil: "Nun, wirst du endlich kommen?
Zu lange sah ich schon der Neugier nach."
133 Als ich des Meisters Wort voll Zorn vernommen,
  Wandt' ich voll Scham zu ihm das Angesicht,
  Und fühle jetzt noch mich von Scham entglommen.
136 Wie man im schreckenvollen Traumgesicht
  Zu wünschen pflegt, daß man nur träumen möge,
  Und das, was ist, ersehnt' als wär' es nicht:
139 So bangt' ich, daß mir Scham das Wort entzöge;  139
  Entschuld'gen wollt' ich mich - Entschuld'gung kam,
  Indem ich glaubte, daß ich's nicht vermöge.
142 Da sprach mein guter Meister: "Mindre Scham
  Wäscht größern Fehler ab, als du begangen,
  Darum entlaste dich von jedem Gram;
145 Doch wenn wir je zu solchem Streit gelangen,
  So denke stets, daß ich dir nahe bin,
  Und bleibe nicht daran voll Neugier hangen,
148 Denn drauf zu horchen zeigt gemeinen Sinn."

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Einunddreißigster Gesang

Erläuterungen:

1 Semele, Tochter des Kadmus, gebar vom Zeus den Bacchus. Juno verfolgte drauf aus Eifersucht das Geschlecht des Kadmus, besonders die Schwester der Semele, Ino, welche den jungen Bacchus gesäugt hatte. Deshalb entflammte sie den Gemahl derselben, Athamas, mit rasender Wuth. Nachdem er den ältesten Sohn Learchus an einem Felsen zerschmettert hatte, jagte er sie mit dem jüngern, dem Melicertes, bis zu einer Felsenspitze, von welcher sie sich ins Meer stürzte. So ward zugleich der stiefmütterliche Haß bestraft, mit welchem Ino die Kinder der ersten Gemahlin des Athamas, Phryrus und Helle, verfolgt hatte.

16 Hekuba, die Gemahlin des Priamus. Ihre Tochter Polyxena wurde dem Schatten des Achilles geopfert. Den Leichnam ihres Sohnes Polydorus fand sie an Thraciens Küste.

24 Zwei Fälscher der Person, d. h. solche, welche durch Betrug bewirkten, daß man ihre Person für die eines Andern hielt, brechen als wüthende Tobsüchtige hervor, und tragen dazu bei, Andere noch mehr zu quälen. Ein besonderes Verhältniß des Verbrechens zur Strafe dürfte hier kaum zu erkennen sein. Die Strafe gleicht der, mit welcher Ges. 13 V. 112 ff. diejenigen gezüchtigt sind, welche ihrem Gute Gewalt angethan habe. Auch Gesang 7 V. 112 finden wir eine ähnliche Darstellung.

32 Johann Schicchi, berüchtigt durch das Talent, andere Personen täuschend darzustelln. Weil Buoso Donati in einem frühern Testamente, um sich wegen verübter Diebstähle Verzeihung vom Himmel zu verdienen, sein großes Vermögen größtentheils frommen Stiftungen vermacht hatte, ließ, als derselbe verstorben war, Schicchi den Leichnam heimlich wegschaffen, und legte sich statt seiner ins Bett, um zum Vortheile des Simon Donati, der ihm dafür daß beste Roß versprochen, ein falsches Testament zu errichten. Wirklich wußte er Stimme und Art des Verstorbenen so nachzuahmen, daß Notarius und Zeugen nichts von dem gespielten Betruge entdeckten.

37 Myrrha, die Tochter des Cinyras, Königs von Cypern, pflog mit ihrem Vater, ohne daß dieser sie erkannte, eine Zeitlang im nächtlichen Dunkel blutschänderischen Umgang. Als einst zufällige Beleuchtung des Orts sie verrieth, verfolgte sie ihr Vater unter tausend Verwünschungen. Aber sie entkam nach Arabien und beweinte dort ihr Vergehen so lange, bis sie in eine Myrrhe verwandelt wurde.

49 Die Laute hat bekanntlich einen runden weit vortretenden Bauch und einen verhältnißmäßig dünnen Hals. Die Gestalt eines Wassersüchtigen würde daher mit ihr zu vergleichen sein, wenn nicht durch die beiden Beine des Menschen die Aehnlichkeit aufgehoben würde. - Mit der Wassersucht sehen wir einen Falschmünzer, Meister Adam von Brescia, bestraft. Auf Verlangen der Grafen von Romena, die wahrscheinlich durch diese Operation ihre Finanzen verbessern wollten, verfälschte er die Goldgülden durch einen Zusatz schlechten Metalles, wofür er zuletzt auf dem Scheiterhaufen büßte. Die Wassersucht deutet auf den Zustand derjenigen Staaten, welche sich in der Noth durch Verschlechterung der Münzen und in neuerer Zeit durch Papiergeld zu helfen suchen. Sie scheinen auf den ersten Anblick wohlgenährt. Aber ihr wahrer Zustand ist krankhafte Aufblähung. - Die Erinnerung an das, was Meister Adam einst hatte, und was er jetzt durch eigne Schuld schmerzlich entbehrt, ist eben so wahr als schön ausgedrückt. Tasso, der überhaupt oft aus Andern geschöpft, scheint dies Bild im befreiten Jerusalem Ges. 13 St. 60 vor Augen gehabt zu haben.

76 Guido, einer der Grafen von Romena, und dessen Bruder.

86 Vergl. Ges. 29 V. 8 und die Anmerkung.

97-98 Potiphars Weib, und Sinon, Fälscher der Rede, weil jene den Joseph, den sie vergebens zur Unkeuschheit verführen wollte, fälschlich anklagte, - dieser den Trojanern über das von den Griechen zurückgelassene hölzerne Roß falsche Auskunft gab. Beide liegen am faulen Fieber darnieder.

100  Der hier folgende Streit zwischen den Sündern ist ganz aus der Natur gegriffen, wie jeder Aufseher in einem Zuchthause bezeugen wird. Indessen ist diese Art, sich zu höhnen, den hier bestraften Sündern nicht eigenthümlich, sondern gehört allen gemeinen und schlechten Naturen an. Das Beste ist die Lehre, daß kein besser Gebildeter solchem Streite Aufmerksamkeit schenken soll.

139 Dante verzweifelt daran, sich über seine den Streitern durch Aufmerksamkeit bewiesene Theilnahme entschuldigen zu können. Aber die Scham, die er zeigt, dient ihm bei Virgil zur besten Entschuldigung.