Uebersicht

Die Hölle.

Siebenundzwanzigster Gesang.

1 Schon aufrecht stand und still der Flamme Haupt,
  Und sie entfernte sich in tiefem Schweigen,
  Nachdem der süße Dichter ihr's erlaubt.  3
4 Wir sahn nach ihr sich eine zweite zeigen,
  Und ein verwirrt Gestöhn, das ihr entquoll,
  Macht' unsern Blick zu ihrer Spitze steigen.
7 Gleichwie Siciliens Stier, der jammervoll  7
  Zuerst von seines Bildner's Schrei'n erbrüllte,
   - Und so war's recht - von dessen Klag' erscholl,
10 Den er im innern hohlen Raum verhüllte,
  Und, ganz von Erz, in seinem Angstgestöhn
  Erschien, als ob ihn selbst der Schmerz erfüllte;
13 So schien das Klagewort, das in den Höh'n
  Und an den Seiten nirgend durchgedrungen,
  Erst gleich des Feuers knisterndem Getön.
16 Doch als er sich zur Spitz' empogerungen,
  Die, wie die Zunge hin und wieder fährt,
  Sich bei dem Durchgang hin und her geschwungen,
19 Da sprach's: "O du, an den mein Wort sich kehrt,  19
  Der du, wie ich vernahm, mit welschem Klange
  Gesprochen: Geh, nicht weiter sei beschwert!
22 Obwohl ich etwas spät hierher gelange,
  Doch weil' und gieb auf meine Fragen Acht,
  Denn sieh, ich weile trotz der Gluten Drange.
25 Bist du zur Reis' in diesem dunkeln Schacht
  Erst jetzt vom süßen Latier-Land geschieden,
  Von dem ich alle Schuld hierher gebracht,
28 So sprich: Hat Krieg Romagna oder Frieden?
  Denn da das schöne Land auch mich erzeugt,
  So kümmert mich sein Schicksal noch hienieden."
31 Ich stand aufmerksam niederwärts gebeugt,
  Da stieß Virgil mich leis' und sagte: "Rede,
  Ein Latier ist er, wie sein Wort bezeugt."
34 Worauf ich, schon bereit zur Gegenrede,
  Ihn also sonder Zögerung beschied:
  ""O Seele, hier verborgen, sonder Fehde
37 War nimmer deines Vaterlands Gebiet,
  Weil stets im Kampf der Zwingherrn Herzen wüthen;
  Doch offenbar war keine, da ich schied.  36-39
40 Ravenna ist, wie's war; dort pflegt zu brüten,  40
  So wie seit Jahren schon, Polenta's Aar,
  Des Flügel unter sich auch Cervia hüten.
43 Die Stadt, die fest in langer Probe war,  43
  Wo rothe Ströme Frankenblutes wallten,
  Liegt unter'm grünen Leu'n nun ganz und gar
46 Verruchio's alt' und neuer Hund, sie walten  46
  Schlimm, wie sie den Montagna einst belohnt,
  Da, wo sie eingebohrt die Zähne halten.
49 Das, was am Lamon und Santerno wohnt,  49
  Läßt sich vom Leu'n im weißen Neste leiten,
  Der die Partei vertauscht mit jedem Mond.
52 Sie, welchen Savio's Flut benetzt die Seiten,  52
  Lebt zwischen Sclaverei und freiem Stand,
  Wie zwischen dem Gebirg und ebnen Weiten.
55 Jetzt, bitt' ich, mach' uns, wer du bist, bekannt;
  Wie der Vergessenheit dein Nam' enttauche,
  So sei nicht härter, als ich Andre fand.""
58 Da grunzt' und braust' es in der Flamme Bauche,
  Wie Feuer braust; sie regte hin und her
  Das spitze Haupt, und gab dann diese Hauche:
61 "Spräch ich zu Einem, dessen Wiederkehr
  Nach jener Welt ich jemals möglich glaubte,
  So regte nie sich diese Flamme mehr.
64 Doch da dies Keinem je die Höll' erlaubte,
  So sag' ich ohne Furcht vor Schand' und Schmach,
  Was mich hierher stieß und des Heils beraubte.
67 Ich war erst Kriegesmann und Mönch hernach,  67
  Um mich vom Fall durch Buß' emporzurichten;
  Gewiß geschah auch, was ich mir versprach.
70 Allein der Erzpfaff - mög' ihn Gott vernichten -   70
  Er hat mich neu den Sündern beigesellt,
  Wie und warum? das will ich jetzt berichten.
73 Als ich noch oben lebt' in eurer Welt,
  Da ward ich nimmer mit dem Leu'n verglichen,
  Doch öfters wohl dem Fuchse gleichgestellt.
76 In allen Ränken und geheimen Schlichen
  War ich gechickt, in ihrer Uebung schlau,
  Und drum berühmt in allen Himmelsstrichen.
79 Doch als die Zeit kam, da des Haares Grau
  Uns dringend mahnt, das hohe Meer zu scheuen,
  Und einzuziehn das Segel und das Tau,
82 Da mußt' ich, was mir erst gefiel, bereuen,
  Ward Mönch und that nun Buß' am heil'gen Ort,
  Ach, und noch konnt' ich mich des Heils erfreuen.
85 Der neuen Pharisäer Herr und Hort  85
  (Im Krieg, mit Juden nicht und Türkenschaaren,
  Vielmehr am Lateran und nahe dort,
88 Weil alle seine Feinde Christen waren,
  Die nicht bei Acri mitgesiegt, und nicht
  Des Sultans Land als Schacherer befahren),
91 Nicht achtet er an sich die höchste Pflicht,
  Und nicht den Strick, der meinen Leib umfangen,  92
  Der Jeden mager macht, den er umflicht.
94 Wie Constantin Sylvestern angegangen,  94
  Ihm Hülf' und Rath beim Aussatz zu verleihn;
So sollt' ich jetzt als Arzt auf sein Verlangen
97 Vom Fieber seines Hochmuths ihn befrein.
  Doch schweigen mußt' ich und mich selber schämen,
  Denn eines Trunknen schien sein Wort zu sein.
100 Du darfst nicht sorgen, sprach er, noch dich grämen;
Ablaß ertheil' ich dir, mich lehre du:
Wie fang' ich's an, Preneste wegzunehmen?  102
103 Du weißt, den Himmel schließ' ich auf und zu,
  Denn beide Schlüssel sind mir übergeben,
Die Cölestin vertauscht um träge Ruh.  105
106 Nicht war so trift'gem Grund zu widerstreben,
Und da hier Schweigen mir das Schlimmste schien,
So sprach ich endlich: Vater, da du eben
109 Die Sünde, die ich thun soll, mir verziehn,
So wisse: Viel versprechen, wenig halten,  110
Dadurch wird deinem Stuhl der Sieg verliehn. -
112 Franz wollte, wie ich starb, sein Amt verwalten,
Mich heimzuführen, doch ein Teufel kam,
Und sprach: Halt' ein, denn den muß ich erhalten.
115 Er kommt mit mir hinab zu ew'gem Gram,
Weil ich, seitdem er jenen Trug gerathen,
Ihn bei dem Haar als meine Beute nahm.
118 Wer Ablaß will, bereu' erst seine Thaten,
Doch wer bereut und Böses will, der muß
Wohl mit sich selbst in Widerspruch gerathen.
121 Ach, wie ich zuckt' in Schrecken und Verdruß,
Als er mich faßt', und, mich von dannen reißend,
Sprach: Meintest du, ich sei kein Logikus?
124 Zu Minos trug er mich, der, sich umkreisend  124
Den harten Rücken, bei dem achten Mal
Ausrief, sich in den Schweif vor Ingrimm beißend:
127 Der wird der Flamme Raub im achten Thal!
Und also ward ich von dem Schlund verschlungen,
Und geh im Feuerkleid zu ew'ger Qual."
130 Hier endet' er, und als das Wort verklungen,
Da ging sogleich die Flamme jammernd fort,
Das Horn gedreht und hin und her geschwungen.
133 Und weiter ging ich nun mit meinem Hort
Zur nächsten Brück' auf rauhen Felsenpfaden,
Und sah im Grund, den Lohn empfangend dort,
136 Die, Zwiespalt stiftend, sich mit Schuld beladen.

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Achtundzwanzigster Gesang

Erläuterungen:

3 Wie Virgil dem Ulyß erlaubt hat, davon zu gehen, erfahren wir V. 21.

7 Perillus, ein Athenienser, schenkte dem Tyrannen Siciliens, Phalaris, einen Stier von Erz, welcher, wenn ein Mensch darin schrie, ein Gebrüll, gleich dem eines wirklichen Stiers, hören ließ. Die Erfindung war auf das Ergötzen des Gebieters berechnet, der, wenn ein Schuldiger oder Verdächtiger bei langsamem Feuer darin gebraten wurde, die ganze Tonleiter des Qualgeschreies bis zum letzten Todesröcheln so verwandelt vernehmen sollte. Aber Phalaris war entweder besser, oder noch schlimmer, als Perillus es voraussetzte. Er ließ die Erfindung durch den Erfinder selbst zuerst erproben. - Wir werden durch dies Gleichniß auf die Vermuthung geleitet, daß Dante vielleicht zu der Strafe, welche er den schlechten Rathgebern bestimmt, durch das Kunstwerk des Perillus veranlaßt worden sei. Die Strafe würde dadurch nicht an tieferer moralischer Beziehung gewinnen, die wir nach der Bemerkung zu Ges. 26 V. 49 vermissen.

19 Die Rede ist an Virgil gerichtet und bezieht sich auf die nach V. 3 dem Ulyß ertheilte Erlaubniß, sich zu entfernen.

36-39 Krieg war dort immer, wenigstens im Herzen der kleinen, sich gegenseitig feindseligen Tyrannen, wenn auch, als Dante die Oberwelt verließ, also im Frühlinge des Jahres 1300, keine Fehde wirklich ausgebrochen war.

40 Guido von Polenta, den wir aus der Einleitung kennen, herrschte in Ravenna und erstreckte seine Herrschaft bis nach Cervia, einer kleinen, zwölf Miglien weit von Ravenna entlegenen Stadt. Das Wappen der Polenta war ein Adler.

43 Forli, wo der Schatten, welcher jetzt zum Dichter spricht, Guido von Montefeltro, vor Kurzem geherrscht hatte, war auf Befehl Martins des Vierten von einem größtentheils aus Franzosen bestandenen Heere belagert, aber nicht erobert worden. Vielmehr hatte Guido's Tapferkeit und List den Feinden großen Schaden zugefügt. Sinibald Ordelaffi, im Jahre 1300 Tyrann von Forli, führte in seinem Wappen einen grünen Löwen.

46 Die beiden Malatesta, Sohn und Vater, Tyrannen von Rimini, benannt von Verruchio, einem in der Nähe dieser Stadt gelegenen Schlosse. Montagna, ein Edler von Rimini, war von ihnen grausam ermordet worden.

49 Faënza, wo der Fluß Lamone, und Imola, wo der Santerno fließt, wurden beherrscht von Machinarda, welcher der Teufel benannt war. Sein Wappen war ein blauer Löwe im weißen Felde. Er trat bald von der Partei der Guelfen zu der der Ghibellinen, bald von dieser zu jener über.

52 Cesena am Savio, wo bald ein Einzelner herrschte und bald das Volk die Oberherrschaft gewann.

67 Guido von Montefeltro, durch Tapferkeit, mehr noch durch List berühmt, ein Zeitgenosse des Dichters.

70 Bonifaz der Achte.

85 Wie den Papst selbst, verabscheut der Dichter seine Kardinäle und Prälaten. - Bonifaz kämpfte nicht gegen die Sarazenen, von welchen die Christen wieder aus dem heiligen Lande vertrieben wurden, nicht gegen diejenigen, welche ihnen beistanden und ihnen alle Bedürfnisse zuführten, sondern gegen die edle römische Familie Colonna.

92 Guido gehörte zu dem Orden der Franziskaner.

94 Constantin bat den heiligen Sylvester, ihn vom Aussatze zu befreien, und dieser bewirkte die Heilung, indem er den Kaiser taufte.

102 Preneste, vormals ein fester Ort in der Campagna di Roma, in welchem die bedrängten Anhänger der Familie Colonna sich eingeschlossen hatten.

105 Ueber Papst Cölestin vergl. Anm. zu Ges. 3. V. 59. 60.

110 Bonifaz ließ, auf Guido's Rath, den Colonna völlige Verzeihung und Wiedereinsetzung in alle ihre Güter und Würden anbieten, wenn sie ihm Preneste übergeben würden. Kaum aber war die Uebergabe erfolgt, als er die Stadt von Grund aus zerstören ließ. - Die Vorwürfe, welche in dem großen Streite zwischen den Kaisern und Päpsten den letzteren gemacht worden waren, sind hier in Hinsicht eines Hauptgegenstandes derselben mit solcher Klarheit und Schärfe ausgesprochen, daß wir den Dichter als einen der ersten und kräftigsten Protestanten anerkennen müssen. Und wer vermag zu bestimmen, wie weit hin ein solches Wort gewirkt - wie es zu den späteren Ansichten über den Ablasßkram beigetragen, und welchen Einfluß es auf die Ereignisse gehabt habe, die in den nächsten Jahrhunderten sich zutrugen.

124 Vergl. den Anfang des fünften Gesanges.