Uebersicht

Die Hölle.
Dreizehnter Gesang.

1 Noch war nicht Nessus jenseits am Gestade,
  Da schritten wir in einen Wald voll Graun,
  Und nirgend war die Spur von einem Pfade.
4 Nicht grün war dort das Laub, nur schwärzlich braun,
  Nicht glatt ein Zweig, nur knotige, verwirrte,
  Nicht Frucht daran, nur gift'ger Dorn zu schaun.
7 Nie bei Cornet' und der Cecina irrte 7
  Damhirsch und Eber durch so dichten Hain,
  Dies Wild, das nie die Saat des Feldes kirrte.
10 Hier aber nisten die Harpy'n sich ein, 10
  Die, von den Inseln Troja's Volk zu scheuchen,
  Es ängsteten mit Unglücks-Prophezeihn,
13 Mit breiten Schwingen, Federn an den Bäuchen,
  Klau'n an den Füßen, menschlich von Gesicht
  Wehklagend aus den seltsamen Gesträuchen.
16 "Bevor du eindringst, wisse, dich umflicht," 16
  Sprach Er: "der zweite Binnenkreis; zu schauen
  Indeß du weiter gehst, versäume nicht.
19 So kommst du, schauend in den Sand, voll Grauen,
  Und gieb wohl Acht, denn Allem, was ich sprach,
  Wirst du dann durch den Augenschein vertrauen."
22 Schon hört' ich rings Geheul und O und Ach,
  Doch sah ich Keinen, der so ächzt' und schnaubte,
  So daß mein Knie mir fast vor Schauder brach
25 Ich glaub', er mochte glauben, daß ich glaubte,
  Verborgne stöhnten aus dem dunkeln Raum,
  Die mir zu sehn das Dickicht nicht erlaubte.
28 "Brich nur ein Zweiglein ab von einem Baum,"
  Begann mein Meister, "und du wirst entdecken,
  Was du vermuthest, sei ein leerer Traum."
31 Da säumt' ich nicht, die Finger auszustrecken
  Riß einen Zweig von einem großen Dorn,
  Und plötzlich schrie der Stumpf zu meinem Schrecken:
34 "Was brichst du mich?"- worauf ein blut'ger Born
  Aus ihm entquoll, und diese Wort' erklangen:
  "Was peinigt uns dein mitleidloser Zorn?
37 Uns, Menschen einst, von Rinden jetzt umfangen.
  Wohl größre Schonung ziemte deiner Hand,
  Und wären wir auch Seelen nur von Schlangen."
40 Gleichwie ein grüner Ast, hier angebrannt,
  Dort ächzt und sprüht, wenn, aufgelös't in Winde,
  Der feuchte Dunst den Weg nach außen fand:
43 So drangen Wort und Blut aus Holz und Rinde,
  Und mir entsank das Reis, das ich geraubt;
  Dann stand ich dort, als ob ich Furcht empfinde.
46 "Verletzte Seele, hätt' er je geglaubt, 46
  Was früher schon ihm mein Gedicht entdeckte,"
  So sprach Virgil, "nie hätt' er sich's erlaubt.
49 Wenn er die Hand nach deinem Aste streckte,
  So reut's mich jetzt, daß, weil's unglaublich schien,
  Ich Lust in ihm zu solcher That erweckte.
52 Doch sag ihm, wer du warst. Er wird, wenn ihn
  Der Tag einst neu umfängt, den Fehl zu büßen,
  Dort frisch ans Licht dein Angedenken ziehn."
55 Der Stamm: "Ein Köder ist im Wort, dem süßen, 55ff
  Der mich zum Sprechen lockt; mag euch's, wenn mich
  Der Leim beim Reden festhält, nicht verdrießen.
58 Ich bin's, der einst das Herz des Friederich
  Mit zweien Schlüsseln auf- und zugeschlossen,
  Und sie so sanft und leis gedreht, daß Ich,
61 Nur Ich, sonst Keiner, sein Vertraun genossen -
  Und bis ich ihm geopfert Schlaf und Blut,
  Weiht' ich dem hohen Amt mich unverdrossen.
64 Die Hure, die mit buhlerischer Glut 64
  Auf Cäsars Haus die geilen Blicke spannte,
  Sie, aller Höfe Tod und Sünd' und Wuth,
67 Schürt' an, bis Alles gegen mich entbrannte,
  Und Alle schürten Friedrichs Gluten an,
  Daß heitrer Ruhm in düstres Leid sich wandte.
70 Da hat mein zornentflammter Geist, im Wahn,
  Durch Sterben aller Schmach sich zu entwinden,
  Mir, dem Gerechten, Unrecht angethan.
73 Bei diesen Wurzeln schwör' ich, diesen Rinden:
  Stets war's um meine Treue wohl bestellt
  Für ihn, der werth war, ew'gen Ruhm zu finden.
76 Kehrt Einer je von euch zurück zur Welt,
  So mög' er dort mein Angedenken heben,
  Das jener Streich des Neids noch niederhält."
79 Hier hielt er an, ich aber schwieg mit Beben.
  Da sprach der Dichter: "Ohne Zeitverlust
  Frag' ihn, er wird auf Alles Antwort geben."
82 Ich aber: ""Frag ihn selbst. Dir ist bewußt,
  Was mir ersprießlich sei, ihm abzufragen;
  Ich könnt' es nicht, denn Leid drückt meine Brust.""
85 Und Er: "Soll einst, was du ihm aufgetragen,
  Er frei vollzieh, dann, o gefang'ner Geist,
  Beliebe dir, zuvor uns anzusagen,
88 Wie dieser Stämme Band die Seel' umkreist?
  Und, wenn um sie sich starre Rinden legen,
  Ob diesen Gliedern eine sich entreißt?"
91 Ein starker Hauch schien sich im Stamm zu regen,
  Dann aber ward der Wind zu diesem Wort:
  "In kurzer Rede sag' ich dies dagegen: 93
94 Wenn die vom Leib' sich trennen, welche dort
  Sich frevelhaft in wildem Grimm entleiben,
  Schickt Minos sie zu diesem Schlunde fort.
97 Hier fallen sie, wie sie die Stürme treiben,
  In diesen Wald nach Zufall, ohne Wahl,
  Um wie ein Speltkorn wuchernd zu bekleiben.
100 So wachsen Büsch' und Bäum' in diesem Thal,
  Und die Harpy'n, die sich vom Laube weiden,
  Sie machen Qual, und Oeffnung für die Qual.
103 Einst eilen wir nach unserm Leib, doch kleiden
  Uns nie darein, denn, was man selbst sich nahm,
  Will Gott uns nimmer wieder neu bescheiden.
106 Wir schleppen ihn in diesen Wald voll Gram,
  Und jeder Leib wird an den Baum gehangen,
  Den hier zur ew'gen Haft sein Geist bekam."
109 Wir horchten auf den Stamm noch voll Verlangen, 109
  Mehr zu vernehmen, als urplötzlich schnell
  Schrei'n und Getos zu unsern Ohren drangen,
112 Als ob hier Eber, Hund und Jagdgesell,
  Die ganze Jagd, heran laut tosend brauste
  Mit Waldes-Rauschen, Schreien und Gebell. -
115 Und sieh, linksher, zwei Nackende, Zersauste,
  Fortstürmen, wie vom Aeußersten bedroht,
  Daß das Gezweig zertrümmert kracht' und sauste.
118 Der Vordre schrie: "Zu Hülfe, Hülfe, Tod!"
  Dem Andern schien's, daß es mehr Eile brauche;
  "Lan," rief er, "dort bei Toppo in der Noth 120
121 Schien nicht dein Fußwerk gut zu dem Gebrauche."
  Dann, weil erschöpft vielleicht des Odems Rest,
  Macht' er ein Knäul aus sich und einem Strauche.
124 Sieh schwarze Hunde, durchs Gestrüpp gepreßt,
  Schnell hinterdrein, die wild die Läufe streckten,
  Wie Doggen, die man von der Kett' entläßt.
127 Sie schlugen ihre Zähn' in den Versteckten,
  Zerrissen ihn und trugen stückweis dann
  Die Glieder fort, die frischen, blutbefleckten.
130 Mein Führer faßte bei der Hand mich an,
  Und führte mich zum Busche, der vergebens
  Aus Rissen klagte, welchen Blut entrann.
133 Er sprach: "Was machtest du doch eitlen Strebens, 133
  O Jacob, meinen Busch zu deiner Hut?
  Trag' ich die Schulden deines Lasterlebens?"
136 Mein Meister, dessen Schritt bei ihm geruht,
  Sprach: "Wer bist du? Warum aus so viel Rissen
  Hauchst du zugleich die Schmerzensred' und Blut?"
139 Und Er: "Ihr Seelen, die ihr kommt, zu wissen,
  Wie harte Schmach ich hier erdulden muß,
  Zu sehn, wie man mir so mein Laub entrissen,
142 O sammelt's an des traur'gen Stammes Fuß.
  Ich bin aus jener Stadt, die statt des alten 143
  Den Täufer wählt' als Schutzherrn. Voll Verdruß
145 Wird Jener drum als Feind ihr grausam walten,
  Und hätte man nicht noch sein Bild geschaut,
  Das dort sich auf der Arnobrück' erhalten,
148 Die Bürger, die sie wieder aufgebaut
  Vom Brand des Attila, aus Schutt und Grause,
  Sie hätten ihrer Müh' umsonst vertraut.
151 Den Galgen macht' ich mir aus meinem Hause."

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Vierzehnter Gesang

Erläuterungen:

7 Corneto, eine kleine Stadt im Kirchenstaate. Cecina, ein Fluß, der südwärts von Livorno ins Meer fällt. Zwischen beiden befinden sich viele Wälder und Gebüsche, die mit Ebern, Hirschen und Rehen bevölkert sind.

10 Die Harpyen prophezeihten, nach Virgil, den Trojanern auf den strophadischen Inseln im ionischen Meere, daß sie, ehe sie die Stadt mit Mauern umgeben könnten, durch Hunger und Ungemach viel leiden würden.

16 Die zweite Abtheilung des siebenten Kreises enthält die Gewaltthätigen gegen sich selbst.

46 Virgil erzählt im dritten Gesange der Aeneis, daß Aeneas, einen Zweig abbrechend, die Stimme des Polidorus vernimmt. Hierauf ist schon V. 21 hingedeutet. Virgil hat den Dichter V. 28 angereizt, einen Zweig von diesem Baume zu brechen, wie es nach V. 49 scheint, nicht ohne die etwas eigennützige Absicht, seinem Liede bei dem Dichter Glauben zu verschaffen. Er fühlt jetzt, daß er damit Unrecht gethan hat, da es nicht löblich ist, dem Unglücklichen aus selbstsüchtigen Absichten noch größeres Leiden zu erregen. Deshalb bekennt er mit echter Menschlichkeit seinen Fehler und seine Reue, indem er zugleich dem verletzten Geiste Vergütung des ihm zugefügten Schadens durch die Erneuerung seines Andenkens in der Oberwelt verspricht.

55ff Der hier sprechende Geist ist Peter von Vinea (von Vineis, wie er auch sonst genannt wird), von geringem Herkommen, aber von Kaiser Friedrich dem Zweiten durch langjähriges unbeschränktes Vertrauen geehrt und zu den höchsten Würden emporgehoben. Endlich wurde er unredlichen Eigennutzes, des Einverständnisses mit dem Papste und selbst der Theilnahme an einem Versuche, seinen Wohlthäter zu vergiften, beschuldigt und ins Gefängniß gesperrt, wo er 1249, aus Verzweiflung seinen Kopf an die Mauern stoßend, sich selbst tödtete. - Ob Peter von Vinea der Verbrechen, deren er angeklagt worden, wirklich schuldig gewesen, oder ob der Neid, unwillig über seine Größe, sie ihm angedichtet, ist eben so ungewiß, als ob Friedrich, von diesem Verbrechen bereits überzeugt, ihn, wie man erzählt, im Gefängnisse habe blenden lassen. Jedenfalls ist das Zeugniß eines Schriftstellers von Dante's Scharffsinn und Kenntniß, der so kurze Zeit nach ihm lebte, für seine Unschuld sehr beachtungswerth. Peter war übrigens nicht bloß als Staatsmann, sondern auch als Dichter von dem kunstliebenden Friedrich geschätzt. Ein Sonett von ihm, das für das älteste Gedicht dieser Art gehalten wird, theilt Raumer Gesch. d. Hohenstaufen Th. 6 S. 506 mit. - Daß sich der Schatten, der sich an den ihm zur Last gelegten Verbrechen unschuldig weiß, durch die Hoffnung, sein Andenken unter den Menschen wieder zu Ehren gebracht zu sehen, wie ein gelockter Vogel angeködert und dann an der Leimruthe festgehalten fühlt, wird sich von selbst erklären.

64 Die Scheelsucht.

93 In den folgenden Versen ist die Strafe, welche diejenigen trifft, die gegen ihr eignes Leben Gewalt verüben, näher angegeben, und wir werden das oben angedeutete Verhältniß zwischen Verbrechen und Strafe auch in diesen sinnreichen Bildern erkennen. Wie der Selbstmörder, nicht erwartend die naturgemäße Entwicklung des allgemeinen Verhängnisses, sich hinabstürzt in das dunkle Land, so soll er in diesem nach Zufall dahin fallen, wohin ihn der Sturm treibt. Der Geist, den er naturwidrig entfesselte, soll naturwidrig gefesselt bleiben im Baume, benagt von den Harpyen der Gewissensbisse. Und wie er die Schauder seines Todes, sich selbst in seiner Phantasie als Leiche erblickend, in seinem Entschlusse mit sich herumtrug, so soll er sie für immer nahe haben durch den Leib, welcher an dem Baume, der die Seele birgt, einst aufgehangen werden wird.

109 In diesem Binnenkreise werden als Gewaltthätige gegen sich selbst auch diejenigen bestraft, die ihrem Gute Gewalt angethan (Ges. 11 V. 43, 44), die wüthenden Vergeuder ihrer Habe, besonders die Spieler, als Sünder anderer Art geschieden von den lustigern Verschwendern, die wir oben Ges. 7 gefunden haben. Wenn diese nur in zwecklosen Bestrebungen sich bemühen, so werden jene von wüthenden Leidenschaften, wie von Hunden, gehetzt, und wir sehen sie in einem Zustande, der dem der unglücklichen Spieler an einer Pharaobank, die so eben ihr Letztes verloren, allerdings sehr wohl entspricht. Verzweifelnd werfen sie sich auf und unter das Nächste, was ihnen vorkommt, um gegen die wüthende Leidenschaft und ihre Folgen Schutz zu suchen, und werden, Andere verletzend, nur desto sicherer die Beute ihrer inneren und äusseren Verfolger. Daß sie in der höchsten Noth sich noch höhnen, entspricht ebenfalls dem Charakter solcher Wüstlinge.

120 Lano stürzte sich in einer Schlacht, obwohl er sich durch Flucht retten konnte, in die Feinde, um den Tod zu finden, und durch ihn dem Elende zu entgehen, in das er durch zügellose Verwüstung seines Vermögens sich gestürzt hatte. In der Hölle ruft er den Tod vergeblich zu Hülfe und sucht vergeblich zu entrinnen, deshalb gehöhnt von seinem zügellosen Genossen Jacob, einem andern Wüstlinge.

133 Wer der hier sprechende Selbstmörder sei, ist nicht angegeben. Vielleicht war er für die Zeitgenossen hinreichend dadurch bezeichnet, daß Jacob sich in seinem Busche verbirgt, was wohl andeuten mag, daß dieser ihn zur Vergeudung seines Vermögens verleitet habe, und von seinem Selbstmorde alle Schuld trage, wie denn der Selbstmörder V. 135 den Vorwurf ablehnt, daß er nicht das Lasterleben Jacobs verschulde.

143 Der Sprechende giebt sich als Florentiner zu erkennen. Florenz nämlich soll, ehe das Christenthum eingeführt worden, unter dem Schutze des Mars gestanden haben, von welchem zu Dante's Zeit noch ein rohes Bild an der Arnobrücke stand. Später wählten sie den Täufer Johannes zu ihrem Schutzpatron und prägte dessen Bild bald auf ihre Münzen. Die Stelle V. 144 - 159 bedeutet daher wohl: Florenz vertraut jetzt dem Golde, nicht der Tapferkeit, daher wird es im Kriege Unglück haben. Wäre nicht der Stadt ein Rest von Tapferkeit übrig gewesen, so würde der Wiederaufbau derselben nach der Zerstörung durch Attila nicht möglich gewesen sein. Man vergleiche wegen Bezeichnung des Goldes durch Johannes Paradies Ges. 18 V. 133-136.