Das Fegefeuer. |
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Eilfter Gesang. |
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1 | "O Vater Unser, in den Himmeln wohnend, 1 |
Du, nimmer zwar von ihrer Schrank' umkreist, | |
Doch lieber bei den ersten Werken thronend, | |
4 | Es preise deinen Namen, deinen Geist, |
Was lebt, weil deinem süßen Hauch hienieden | |
Der Mensch nur würdig dankt, wenn er ihn preist. | |
7 | Zu uns, Herr, komme deines Reiches Frieden, |
Den Keiner je durch eigne Kraft errang, | |
Und der zu uns nur kommt, von dir beschieden. | |
10 | Gleichwie die Engel beim Hosiannah-Sang |
Ihr Wollen auf das Deine nur beschränken, | |
So opfre dir der Mensch des Herzens Hang. | |
13 | Woll' unser täglich Manna heut' uns schenken; 13 |
Zurück gehn ohnedies auf rauher Bahn | |
Die, so am meisten vorzuschreiten denken. | |
16 | Wie wir, was Andre Böses uns gethan, |
Verzeihn, o so verzeih' uns du in Hulden, | |
Und sieh nicht das, was wir verdienen, an. | |
19 | Nicht laß die schwanke Kraft Versuchung dulden |
Vom alten Feinde, sondern mache los 20 | |
Von ihm, deß Arglist reizt zu Sünd' und Schulden. | |
22 | Für uns nicht, theurer Herr, für jene blos |
Geschieht, thut Noth die letzte dieser Bitten, | |
Die dort noch sind in unentschiednem Loos." | |
25 | So für sich selbst, für uns auch betend, schritten |
Die Schatten langsam unter schwerer Last, | |
Wie man im Traum oft ihren Druck erlitten, | |
28 | Im ersten Vorsprung, der den Berg umfaßt; |
Sie läutern sich vom Erdenqualm und tragen | |
Ungleiche Bürden, matt, doch ohne Rast. | |
31 | Wenn stets für uns dort jene Gutes sagen, |
Was kann für sie von Solchen hier geschehn, | |
Die Wurzeln schon im bessern Sein geschlagen? | |
34 | Sie unterstützen treulich unser Flehn, |
Daß sie der Erdenschuld sich bald entringen | |
Und leicht und rein die Sternenkreise sehn. | |
37 | "Soll Recht und Mitleid Euch Erleicht'rung bringen, 37 |
Um zu dem Ziel, das euch die Sehnsucht zeigt, | |
Mit freien Flügeln bald euch aufzuschwingen, | |
40 | So zeigt uns jetzo, wo man aufwärts steigt; |
Weis't uns den Weg, und giebt es mehr als einen, | |
So lehrt uns den, der minder steil sich neigt. | |
43 | Denn dieser hier, mit Fleisch und mit Gebeinen |
Von Adam her bekleidet und beschwert, | |
Muß wider Willen träg im Steigen scheinen." | |
46 | So sprach mein Führer, Jenen zugekehrt, |
Und diese Rede ward darauf vernommen, | |
Doch wußt' ich nicht, von wem ich sie gehört. | |
49 | "Ihr könnt mit uns zur rechten Seite kommen, |
Dort ist ein Paß, nicht steiler, als der Fuß | |
Des Lebenden schon anderwärts erklommen. | |
52 | Und drückte nicht der Stein nach Gottes Schluß |
Den stolzen Nacken jetzt der Erd' entgegen, | |
So daß ich stets zu Boden blicken muß, | |
55 | So würd' ich nach ihm hin den Blick bewegen, |
Zu sehn, ob ich ihn, der sich nicht genannt, | |
Erkenn', und um sein Mitleid zu erregen, | |
58 | Wilhelm Aldobrandeschi, der dem Land, 58 |
Das ihn geboren, Ruhm und Ehre brachte, | |
Erzeugte mich und ist euch wohl bekannt. | |
61 | Das alte Blut, der Ruhm der Ahnen machte |
So übermüthig mich und stolz und roh, | |
Daß ich nicht mehr der Mutter Aller dachte. | |
64 | Und ich verachtete die Menschen so, |
Daß ich drum starb, wie die Sanesen wissen | |
Und jedes Kind in Campagnatico. | |
67 | Omberto bin ich; nicht nur mein Gewissen |
Befleckt der Stolz, er hat auch Alle schier | |
Von meinem Stamm ins Elend fortgerissen. | |
70 | Bis ich dem Herrn genug that, ruht auf mir |
Die schwere Last, und was ich dort im Leben | |
Nicht that, das thu' ich bei den Todten hier." | |
73 | Ich horcht' und ging gesenkten Haupts daneben, |
Ein Andrer aber, unterm Steine , fing | |
Sich an zu winden, um den Blick zu heben. | |
76 | Er sah, erkannt' und nannte mich, und hing, |
Kaum fähig doch, den Blick vom Grund zu trennen, | |
An mir, der ganz gebückt mit ihnen ging. | |
79 | ""Du Odris!"" rief ich, froh ihn zu erkennen, 79 |
""Scheinst Gubbio's Ruhm, der Ruhm der Kunst zu sein, | |
Die Miniaturkunst die Pariser nennen."" 80-81 | |
82 | "Ach, Bruder, heitrer sind die Schilderei'n," |
Versetzte Jener, "Franks, des Bolognesen, 83 | |
Sein ist der Ruhm nun ganz, zum Theil nur mein. | |
85 | So edel wär' ich, lebend, nicht gewesen, |
Dies zu gestehn, denn ach! vor Ruhmgier schwoll | |
Damals mein stolzes Herz, mein ganzes Wesen. | |
88 | Für solchen Stolz bezahlt man hier den Zoll, |
Wo ich, weil ich bereute, durch Beschwerden | |
Von seinem finstern Dampf mich läutern soll. | |
91 | O eitler Ruhm des Könnens auf der Erden! 91 |
Wie wenig dauert deines Gipfels Grün, | |
Wenn roher nicht darauf die Zeiten werden. | |
94 | Als Maler sah man Cimabue blühn, 94 |
Jetzt sieht man über ihn den Giotto ragen, | |
Und Jenes Glanz, in trüber Nacht verglühn. | |
97 | Den Ruhm der Sprachen nahm in diesen Tagen 97 |
Ein Guid' dem andern, und ein Andrer lauscht | |
Vielleicht versteckt, auch ihn vom Nest zu jagen. | |
100 | Ein Windstoß nur ist Erdenruhm. Er rauscht |
Von hier, von dort, um schleunig zu verhallen, | |
Indem er Seit' und Namen nur vertauscht. | |
103 | Wird lauter wohl dereinst dein Ruhm erschallen, |
Wenn du als Greis vom Leib geschieden bist, | |
Als wenn du stirbst beim ersten Kinderlallen, | |
106 | Eh' tausend Jahr' entfliehn? - wohl kürz're Frist 106 |
Zur Ewigkeit, als zu dem trägsten Kreise | |
Des Himmels deines Auges Blinken ist. | |
109 | Ganz Tuscien scholl einst laut von dessen Preise, 109 |
Der dort vor mir so träg und langsam schleicht, | |
Jetzt flüstert's kaum von ihm in Siena leise. | |
112 | Dort herrscht' er, als von dem Geschick erreicht, |
Fiorenza's Wuth erlag, der stolzen, kühnen, | |
Der Stadt, die jetzt der feilen Huren gleicht. | |
115 | Dem Grase gleicht der Menschenruhm, dem grünen. |
Das kommt und geht, und durch die Glut verdorrt, | |
Die erst es mild hervorrief, zu ergrünen." | |
118 | Und ich: ""Mir dämpft den Stolz dein wahres Wort |
Und weiß mir trefflich Demuth einzuprägen; | |
Doch sprich: wer geht so schwer belastet dort?"" | |
121 | "Salvani," sprach er, "ist es, hier deswegen, |
Weil sich so weit sein toller Stolz vergaß, | |
Dem freien Siena Ketten anzulegen. | |
124 | Drum ging er so und geht ohn' Unterlaß, |
Seitdem er starb - der Zoll wird hier erhoben | |
Von Jedem, der sich dort zu hoch vermaß." | |
127 | Und ich: ""Weilt Jeder, welcher aufgeschoben |
Bis zu dem Rand des Lebens Reu' und Leid, | |
Dort unten erst und dringet nicht nach oben. | |
130 | Wenn ihm nicht Hülfe gläubig Flehn verleiht, |
Bis so viel Jahr', als er gelebt, vergangen, | |
Wie kam denn Er herauf in kürz'rer Zeit?"" | |
133 | Und Er: "Er ist auf Siena's Markt gegangen, 133 |
Zur Zeit, da er den höchsten Ruhm erstrebt, | |
Hat dort gestanden, nicht von Scham befangen, | |
136 | Und, weil sein Freund in Carlo's Haft gelebt, |
Um Hülf' ihm und Befreiung zu gewähren, | |
Als Bettler dort an jedem Puls gebebt. | |
139 | Ich red' unklar, doch wird's nicht lange währen, |
So handelt also deine Nachbarschaft, | |
Daß du vermagst, Dir Alles zu erklären, | |
142 | Die That hat jene Schrank' ihm weggeschafft." |
Anmerkungen:
1 Gott, obwohl, nach Dante's Doctrin, im höchsten Himmel, bei dem Ersterschaffenen, den Engeln, thronend, ist doch der Allgegenwärtige. 13 Da die Schatten nicht, wie V. 19, für die noch Lebenden, sondern für sich selbst um ihr tägliches Manna bitten, so versteht sich von selbst, daß hier nicht von irdischem Brote, sondern von Labung und Stärkung der Seele die Rede ist, durch welche das moralische Vorwärtsschreiten gefördert wird. 20 Die Schatten bitten nicht: mach' uns los - weil sie selbst, wie V. 22 ausgedrückt ist, den Versuchungen nicht mehr ausgesetzt sind. 37 Das Recht schafft ihnen Erleichterung, wenn sie die Schuld abgebüßt haben - das Mitleid, wenn Gottes Gnade auf frommes Gebet der Gläubigen die Zeit der Buße abkürzt. Wir werden nicht unbemerkt lassen, daß Virgil, der in der Hölle selbst wohl Bescheid wußte, im Fegefeuer immer die Schatten nach dem Wege fragt. Die Vernunft kann die Sünden als solche erkennen, sie kann und soll uns auch auf dem Wege zur Läuterung begleiten. Aber als Führerin auf diesem Wege ist sie selbst unsicher, und nur der Glaube leitet uns sicher zur sittlichen Vervollkommnung. Darum wurden diejenigen, deren Glaube schon dadurch, daß sie hier sind, außer Zweifel ist, um den Weg befragt. 58 Omberto, Graf von Santafiore, Sohn des Wilhelm Aldobrandeschi (im Originale benannt il gran Tosco), machte sich durch unerträglichen Hochmuth dem Volke von Siena so verhaßt, das er in Campagnatico, einem Orte der Maremna, zuletzt ermordet wurde. 79 Oderisi aus Gubbio, ein berühmter Miniaturmaler, lebte zu des Dichters Zeit in Bologna, und war, nach Benvenuto d'Imola, so stolz auf seine Kunst, daß er alle Andern neben sich verachtete. Nicht ohne höhere Absicht ist wohl oben ein Miniaturmaler als Beispiel des Stolzes aufgestellt worden, der seine kleinen Bildchen für wichtig genug hielt, um ihm eine ausgezeichnete Stelle im unendlichen All zu sichern und ihm die Demuth entbehrlich zu machen. 80 - 81 Im Original: die Kunst, welche man in Paris alluminiren nennt. Die Kunst bestand darin, mit Wasserfarben auf Elfenbein oder Pergament zu malen, indem man das Weiße zum Licht aufsparte. Reste der Kunst auf jener Zeit finden sich noch auf Urkunden und Manuscripten. 83 Franco von Bologna, ein späterer Meister in dieser Kunst. 91 Das höchste Können der Gegenwart wird von der nächsten Zukunft überboten, wenn nicht beim Eintritt roherer Zeit die Kunst zurückschreitet. 94 Cimabue und Giotto, berühmte Maler aus jener Zeit, von welchen noch sehr beachtenswerthe Werke erhalten sind. 97 Guido Cavalcante überbot den Guido Guinicelli als Dichter und in dem Verdienste um Ausbildung der Sprache. Ob Dante mit dem Andern, der Beide vielleicht übertreffen werde, sich selbst gemeint habe, mag unentschieden bleiben. Der Ort, wo er sich ausspricht, würde wenig zu dieser Aeußerung eines zwar sehr gerechten, aber doch stolzen Selbstgefühles passen. 106 Der trägste Kreis des Himmels ist nach dem Ptolemäischen System der des Mondes, da dieser einen verhältnißmäßig kleinern Raum in derselben Zeit durchläuft, in welcher die Fixsterne den weit größern durchlaufen, daher diese letzteren sich um so schneller bewegen müssen. Allein hier ist ohne Zweifel von derjenigen Bewegung der Fixsterne die Rede, welche man die besondere, die Vorrückung der Nachtgleichen nennt, durch welche sie, nach Dante's Meinung im Convito, in 100 Jahren, nach neueren Berechnungen in 72 Jahren um einen Grad weiter rücken. Im Verhältniß zu dieser Bewegung ist ein Augenblick ein längerer Zeitraum, als ein Jahrtausend im Verhältniß zur Ewigkeit. 109 Hier ist die Rede von Salvani, einem Anführer der Sanesen in der Schlacht bei Montaperto an der Arbia, in welcher die Florentinischen Guelfen gänzlich geschlagen wurden. Genannt wird er erst auf die Frage des Dichters, V. 121. Daß die Stadt, von Parteiwuth zerrissen, sich Carl von Anjou Preis gab, ist in der Einleitung zur Hölle erzählt. 133 Einer der Freunde Salvani's war von Carl von Anjou gefangen worden. Da Salvani das Lösegeld, welches für ihn gefordert wurde, nicht aufbringen konnte, stellte er sich bettelnd auf den Markt von Siena und nahm für ihn die Mildthätigkeit des Volks in Anspruch. Wie man bettelnd und Hülfe suchend sich zu benehmen pflege, wird Dante, wie ihm hier der Schatten prophezeit, in seiner Verbannung bald selbst erfahren. Hierauf und auf den ungerechten Haß, mt welchem Florenz ihn verfolgte, ist V. 139 bis 141 hingedeutet. |