Uebersicht   

Das Paradies.

Einunddreißigster Gesang.

1 So sah ich denn, geformt als weiße Rose,
  Die heil'ge Kriegsschaar, die als Christi Braut   2
  Durch Christi Blut sich freut in seinem Schooße.
4 Allein die andre, welche, fliegend, schaut
  Und singt des Ruhm, der sie in Lieb' entzündet,
  Die Huld, die hehre Kraft ihr anvertraut,
7 Sie senkt', ein Bienenschwarm, der jetzt ergründet
  Der Blüthen Kelch, jetzt wieder dorthin eilt,
  Wo würz'ger Honigseim sein Thun verkündet,
10 Sich in die Blum', im reichen Kelch vertheilt,
  Und flog dann aufwärts aus dem schönen Zeichen,
  Dorthin, wo ihre Lieb' allewig weilt;
13 Lebend'ger Flamm' ihr Antlitz zu vergleichen,
  Die Flügel Gold, das Andre weiß und rein,
  So, daß nicht Reif noch Schnee den Glanz erreichen.
16 Und in die Rose zog von Reih'n zu Reih'n
  Frieden und Glut, von ihnen eingesogen
  Im Flug zur Höhe stets mit ihnen ein.
19 Und ob sie zwischen Blum' und Höhe flogen,
  Doch ward durch die beschwingte Menge nicht
  Des Höchsten Blick und Glanz der Ros' entzogen.
22 Denn so durchdringend ist das höchste Licht,
  Das seinen Schimmer nach Verdienste spendet,
  Daß nichts im Weltenall es unterbricht.
25 Dies Freudenreich, gesichert und vollendet,
  Bevölkert von Bewohnern, neu und alt,   26
  Hielt Lieb' und Blick ganz auf ein Ziel gewendet.
28 O dreifach Licht, du, einem Stern entwallt.
  Dort, wo man dich schaut, sel'gen Frieden hegend,
  Schau her auf uns, die wilder Sturm umhallt. -
31 Wenn die Barbaren, kommend aus der Gegend,  31
  Die stets die Bärin deckt, in gleicher Bahn
  Sich mit dem lieben Sohn im Kreis bewegend,
34 Zu jenen Zeiten, als der Lateran  34
  Die Welt beherrscht, von Staunen überwunden,
  Rom und der Römer große Werke sahn;
37 Wie ich, der ich, dem Menschlichen entwunden,
  Zum Höchsten kam, von Zeit zur Ewigkeit,
  Und von Florenz zu Wackern und Gesunden,  39
40 Wie mußt' ich staunen solcher Herrlichkeit?
  Lust fühlt' ich nicht zu sprechen, nichts zu hören,
  Getheilt in Staunen und in Freudigkeit.
43 Gleichwie ein Pilgrim, der sein lang Begehren
  Im Tempel des Gelübdes, schauend, letzt,
  Und hofft von ihm einst Andre zu belehren;
46 So war ich, zum lebend'gen Licht versetzt,
  Den Blick, lustwandelnd, durch die Stufen führend,
  Jetzt auf, jetzt nieder und im Kreise jetzt.
49 Gesichter sah ich hier, zur Liebe rührend,
  In fremden Licht und eignem Lächeln schön,
  Geberden, sich mit jeder Tugend zierend.
52 Im Allgemeinen konnt' ich schon ersehn,
  Wie sich des Paradieses Form gestalte,
  Doch blieb mein Blick noch nicht beim Einzlen stehn;
55 Und da mir neuer Wunsch im Herzen wallte,
  So kehrt' ich, um zu fragen, mich nach Ihr,
  Wie das, was ich nicht einsah, sich verhalte?
58 Sie fragt' ich, und ein Andrer sprach zu mir.  58
  Sie suchend, fand ich mich bei einem Greise,
  Gekleidet in der andern Sel'gen Zier.
61 Auf Aug' und Wang' ergoß sich gleicherweise
  So Güt' als Freude - fromm war Art und Thun,
  Wie's Vätern ziemt, in lieber Kinder Kreise.
64 ""Und wo ist Sie?"" so sprach ich eilig nun.
  Drum Er: "Beatrix hat mich hergesendet
  Von meinem Platz, um dir genug zu thun.
67 Du wirst, den Blick zum dritten Kreis gewendet
  Des höchsten Grads, sie auf dem Throne schau'n
  Der ihren Lohn für ihr Verdienst vollendet."
70 Ohn' Antwort hob ich rasch die Augenbrau'n -
  Sah Sie - sah ew'ge Strahlen ihr entwallen
  Im Wiederschein, und ihr die Krone bau'n.
73 Vom Raum, aus dem die höchsten Donner hallen,
  War nimmer noch ein Menschenblick so weit
  Und wär' er auch ins tiefste Meer gefallen,
76 Als ich von meiner Herrin Herrlichleit;
  Doch sah ich klar ihr Bildniß niederschweben
  Rein, unvermischt, in lichter Deutlichkeit.
79 "O Herrliche, du, meiner Hoffnung Leben,
  Du, der's zu meinem Heile nicht gegraut,
  Dich in den Schlund der Hölle zu begeben,
82 Dir dank' ich Alles, was ich dort geschaut,
  Wohin du mich durch Macht und Güte brachtest,
  Und deine Gnad' und Stärke preis' ich laut.
85 Die du zum Freien mich, den Sclaven, machtest,
  Mir halfst auf jedem Weg, in jeder Art,
  Die du zu diesem Zweck geeignet dachtest,
88 Hilf, daß, was du geschenkt, mein Herz bewahrt.
  Damit sich dir die Seele dort geselle,
  Die Seele, die gesund durch dich nur ward."
91 So betet' ich - und Sie, von ferner Stelle,
  Sie lächelte, wie's schien, und sah mich an,
  Dann schaute sie zurück zur ew'gen Quelle.
94 "Damit du ganz vollendest deine Bahn,"
  Begann der Greis, "auf der dich fortzuleiten
Ich Auftrag von der heil'gen Lieb' empfahn,
97 Laß deinen Blick durch diesen Garten gleiten,
  Denn stärken wird dir dies des Auges Sinn
  Und ihn auf Gottes Strahlen vorbereiten.
100 Und Sie, die mich entflammt, die Königin
Des Himmels, läßt uns ihre Gnade frommen,
Weil ich ihr vielgetreuer Bernhard bin."
103 Wie der, der von Croatien hergekommen,
  Um unser Schweißtuch zu betrachten, nicht   104
Satt wird, zu sehn, wovon er längst vernommen,
106 Und, wenn man's zeigt, zu sich im Innern spricht:
Herr Jesus Christus, wahrer Gott, hienieden
So also war geformt dein Angesicht?
109 So ich, als mir der Anblick ward beschieden
Der Liebe dessen, der in dieser Welt,
Betrachtend, schon gekostet jenen Frieden.
112 Er sprach: "Was Schönes dieses Reich enthält,
Wird, Sohn der Gnade, sich dir nimmer zeigen,
Wenn sich dein Blick nur tief am Grunde hält.
115 Doch laß den Blick von Kreis zu Kreise steigen,
Bis daß er sich zur Königin erhöht,
Vor der sich fromm des Himmels Bürger neigen."
118 Aufschaut' ich, und, wie, wenn die Früh ersteht,
Der Ost den Himmelstheil mit goldnen Strahlen
Besiegt, in dem die Sonne niedergeht,
121 So, steigend mit dem Blick, wie wir aus Thalen
Die Berg' ersteigen, sah ich einen Ort
Im höchsten Rand all' Andres überstrahlen.
124 Und als ob früh der Ost, da, wo sofort
Die Sonne steigen soll, sich mehr entflamme,
Wenn sich das Licht vermindert hier und dort;  126
127 So sah ich jene Friedens-Oriflamme
Inmitten mehr erglühn, und bleicher ward
Bei ihrem Glanz der andern Lichter Flamme.
130 Ich sah viel tausend Engel, dort geschaart,
Sie feiernd, mit verbreitetem Gefieder,
Verschieden jeglichen an Glanz und Art.
133 Und Schönheit lachte bei dem Klang der Lieder
Und bei dem Spiel, und strahlt' in Seligkeit
Aus aller andern Sel'gen Augen wieder.
136 Und reichte meiner Sprache Kraft so weit,
Als meine Phantasie, doch nie beschriebe
Ich nur den kleinsten Theil der Herrlichkeit.
139 Bernhard, bemerkend, daß mit heil'gem Triebe
An seiner glüh'nden Glut mein Auge hing,   140
Erhob auch Sein's zu Ihr mit solcher Liebe,
142 Daß mein's zum Schauen neue Glut empfing.

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Zweiunddreißigster Gesang

Anmerkungen:

2 ff. Die heil'ge Kriegsschaar, die seligen Seelen der Menschen, hier der V. 4 angeführten andern, der der Engel, entgegengesetzt, da diese nicht fielen; folglich der Erlösung nicht bedurften. Die letzteren fliegen, wie wir sehen werden, von der Rose zu Gott und von Gott zur Rose und bringen in die letztere das Heil und den Frieden, den sie im Fluge zu Gott erwerben. Bei ihrem Fluge schauen sie Gott und singen ihm Loblieder.

26 Neu und alt, von Seelen des Alten und Neuen Testamentes.

31 Aus der Gegend etc., dem Norden, über welchem immer die Gestirne des großen und kleinen Bären stehen und sich um den Polarstern bewegen, der selbst zum kleinen Bären gehört.

34 Der Lateran, ein Platz in Rom, von einer altrömischen Familie so benannt; demnächst die von Constantin dem Großen an diesem Platze erbaute Kirche. Hier bedeutet er Rom selbst, der Theil das Ganze. Von den Zeiten der Völkerwanderung kann hier wohl keine Rede sein, sondern von der früheren Zeit, als die fremden Gesandten in Roms Senat eine Versammlung von Königen ehrerbietig anstaunten.

39 Einen furchtbarern Geißelstreich hat der Dichter seiner Vaterstadt wohl nirgends versetzt, als in diesem Verse.

58 Hier ist Beatrice dem Dichter verschwunden, und der heilige Bernhard von Clairvaux steht an ihrer Statt an seiner Seite. Dies Verschwinden und dieser Ersatz sind beide nicht zufällig. Der Dichter konnte den erhabenen Schauplatz seines göttlichen Traumgesichts nicht verlassen, ohne die hohe Frau, der seine höchste Liebe auf Erden gegolten, und die nach ihrer Verklärung ihm zur himmlischen Weisheit, zur Führerin aus den Irrsalen des Lebens in die Regionen des ewigen Lichts geworden, in ihrer Herrlichkeit, auf dem erhabenen Platze, den ihre Tugend ihr erworben, gesehen und dem Leser gezeigt zu haben. Und erst hiermit ist der Wunsch und die Hoffnung ganz erfüllt, die er am Schlusse seiner Vita nuova äußert: nämlich Dinge von ihr zu sagen, die noch über Keine gesagt worden, und sie zu sehen in Herrlichkeit und Verklärung. Beatricens Bild war nur vollendet, wenn sie, nachdem sie den Dichter ans Ziel gebracht, nun selbst den ihr eigenen Platz in der himmlischen Rose einnahm. Derjenige, der von ihr gesandt wurde, den Dichter ferner zu belehren (denn einen Führers bedurfte es nicht weiter, er war ja am Ziele des Weges), ist Abt Bernhard von Clairvaux. Von ihm sagt Luther: "Ist jemals ein wahrer, gottesfürchtiger und frommer Mönch gewesen, so war's St. Bernhard, den ich allein für höher halte, denn alle Mönche und Pfaffen auf unserm Erdboden, und ich zwar seines Gleichen auch sonst niemals weder gelesen noch gehört habe." - Bernhard verdient wirklich ein großer Mann genannt zu werden, und überragt in der Mannigfaltigkeit seiner vielumfassenden Bestrebungen bei Weitem alle diejenigen Heiligen der neuern Zeit, welche in der göttlichen Komödie aufgeführt sind. Von Jugend auf still, fleißig, gehorsam, gottergeben, streng gegen sich selbst und von untadeliger Sittlichkeit, mit der Gewalt der Rede und des Geistes und der innern Würde begabt, welche ihn fähig machten, die Haupttriebfeder eines neuen Kreuzzugs zu werden, bezweckte er in Allem, was er unternahm, nichts für sich, lehnte standhaft jede höhere geistliche Würde ab, und blieb als Abt von Clairvaux Rathgeber und Schiedsrichter der Könige und Päpste, verehrt auch von den letzteren, obwohl er als der strengste Censor der Mißbräuche in der Kirche auftrat. "Der Papst," schrieb er an Eugen den Vierten, "herrschet nur, damit die Welt eines Glaubens und Friede auf Erden sei. Gewalt anderer Art ist der gefährlichste Feind, das ärgste Gift für den Papst; denn der Name eines Bischofs drückt nur ein Amt, keine irdische Herrschaft aus; und wer die Sünden vergeben darf, soll nicht nach dem weltlichen Gute trachten." Ein Mann dieser Art, dessen Grundsätze so ganz mit den seinigen übereinstimmten, mußte hoch in unsers Dichters Achtung stehen und von ihm vor allen Andern für würdig erkannt werden, ihm, nachdem Beatrice zu dem Sitze ihrer Herrlichkeit emporgestiegen, die himmlischen Geheimnisse zu offenbaren. Aber zu dieser Offenbarung bedurfte er noch einer höheren Vermittlerin, der heiligen Jungfrau, welcher der Dichter, wie ein sehr schönes Sonett beweist, die frömmste Andacht weihte. Wie Bernhard, so klar und gewandt er sich auch in Allem, was den Sinnen erkennbar ist und ins Leben eingreift, zeigte, dennoch durch die mystische Theologie überhaupt den Ruhm seines Namens vergrößerte, so war er besonders dem Dienste der Jungfrau Mutter ergeben, und verherrlichte sie in seinen Schriften. Aus allem diesem ergeben sich Gründe genug, warum der Dichter gerade ihn wählte.

104 In Rom wird ein Schweißtuch gezeigt, in welchem das Angesicht des Heilandes sich eingeprägt haben soll. Der Dichter malt hier die Empfindung dessen, der, um es zu sehen, aus einem fernen und rauhen Lande gekommen ist.

126 Das Licht, der Sterne.

140 An seiner glühn'den Glut (al caldo suo calor), an dem Gegenstande seiner Glut, der Maria, die hier selbst glühte.