Uebersicht   

Das Paradies.

Siebenundzwanzigster Gesang.

1 Dem Vater, Sohn und heil'gen Geiste sang  1
  Das ganze Paradies; Ihm jubelt' Alles,
  So daß ich trunken ward vom süßen Klang.
4 Ein Lächeln schien zu sein des Weltenalles
  Das, was ich sah, drum zog die Trunkenheit
  Durch Aug' und Ohr im Reiz des Blicks und Schalles.
7 O Lust! o unnennbare Seligkeit!
  O friedenreiches, lieberfülltes Leben!
  O sichrer Reichtum sonder Wunsch und Neid!
10 Ich sah vor mir die Feuer glühend schweben,
  Und das der Vier, das erst gekommen war,
  Sah ich in höherm Glanze sich beleben.
13 Und also stellt' es sich den Blicken dar,
  Wie Jupiter, nähm' man an seinen Gluten
  Das hohe Roth des Marsgestirnes wahr.
16 Und jetzt gebot der Wink des ewig Guten,
  Deß Vorsicht dort vertheilet Pflicht und Amt,
  Daß aller Sel'gen Wonnechöre ruhten.
19 Da hört' ich: "Siehst du röther mich entflammt19
  So staune nicht - bei meinen Worten werden
  Sich diese hier verwandeln allesammt.
22 Der meines Stuhls sich anmaßt dort auf Erden,  22
  Des Stuhls, des Stuhls, auf dem kein Hirt jetzt wacht
  Vor Christi Blick, zum Schutze seiner Heerden,
25 Hat meine Grabstatt zum Kloak gemacht  25
  Von Blut und Stank, drob, der zu ew'gen Qualen  26
  Einst von hier oben fiel, dort unten lacht."
28 Wie früh und Abends sich die Wolken malen,
  Die grad' der Sonne gegenüberstehn,
  So sah ich jetzt den ganzen Himmel strahlen.
31 Wie wir ein ehrbar Weib sich wandeln sehn, 31
  Das, sicher seiner selbst, nichts zu verschulden,
  Nur hörend, schüchtern wird durch fremd Vergehn;
34 So meiner Herrin Angesicht voll Hulden;
  Und so verfinstert, glaub' ich, wie sie dort,
  War einst der Himmel bei der Allmacht Dulden.  36
37 Er aber fuhr in seiner Rede fort,
  Und wie verwandelt erst der heitre Schimmer,
  So war verwandelt jetzt das heil'ge Wort.
40 Die Braut des Herrn hat zu dem Zwecke nimmer  40
  Mein Blut, des Lin und Cletus Blut, genährt,
  Daß man durch sie erwerbe Gold und Flimmer.
43 Nein, dieses frohe Sein, das ewig währt,
  Dem hat des Sixt und Pius Blut gegolten,
  Dies hat Calixt, dies hat Urban begehrt.
46 Das war's nicht, was wir von den Folgern wollten,
  Daß sie um sich das Christenvolk getrennt
  Zur Rechten und zur Linken setzen sollten.  46-48
49 Nicht sollten jene Schlüssel, mir vergönnt,
  Als Kriegeszeichen in den Fahnen stehen,
  Woran man der Getauften Feind' erkennt49
52 Nicht sollte man mein Bild auf Siegeln sehen,
 

Erkauftem Lügenfreibrief beigedrückt,

  Drob ich erröth' und glüh' in diesen Höhen52
55 Jetzt sieht man, mit dem Hirtenkleid geschmückt,
  Raubgier'ge Wölfe dort die Heerden hüten.
  O Gott, was ruht dein Schwert noch ungezückt!
58 Und Caorsiner und Cascogner brüten  58
  Schon Tücken aus, voll Gier nach meinem Blut59
  O schnöde schlechte Frucht von schönen Blüthen!
61 Allein die Vorsicht, die durch Scipio's Muth
  Den Ruhm der Welt beschützt in Roma's Siegen,
  Bald hilft sie, wie mir kund mein Spiegel thut.  63
64 Du, Sohn, wenn du zur Erd' hinabgestiegen,
  Erschleuß den Mund, und sprich, wie sich's gebührt,
  Und nicht verschweige, was ich nicht verschwiegen."
67 Wie, wenn der Wolken feuchter Dunst gefriert,
  Durch unsre Luft die Flocken niederfallen,
  Zur Zeit, da Sol des Steinbocks Horn berührt,  69
70 So, aufwärts, sah ich an des Aethers Hallen
  Mit jenem Licht, das eben zu mir sprach,
  Der Andern Schaar, wie Schimmerflocken, wallen.
73 Mein Auge folgte diesem Anblick nach,
  Bis sie so weit im Raum emporgeflogen,
  Daß er den Pfad des Blickes unterbrach.  75
76 Da sprach die Herrin, die mich abgezogen
  Von oben sah: "Jetzt schau hinab - hab' Acht,
  Wie weit du fortzogst mit des Himmels Bogen."
79 Vom ersten Rückblick an, deß ich gedacht,  79
  Hatt' ich den Weg der Hälft' im halben Kreise
  Von seiner Mitte bis zum Rand gemacht.
82 Von Cadix jenseits lag das Furth zur Reise  82
  Ulyß, des Thoren - diesseits nah' der Strand,
  Dem Zeus entrann, beschwert mit süßem Preise.
85 Noch mehr von unserm Ball hätt' ich erkannt85
  Doch unten war die Sonne vorgegangen,
  Die fern um mehr noch, als ein Zeichen stand.
88 Mein liebend Herz, das immer mit Verlangen
  Der Herrin schlug, war mehr als je entglüht.
  Ihr wieder mit den Augen anzuhangen.
91 Was jemals der Natur und Kunst entblüht
  An Leib und Bild, dem Aug' als Reiz zu dienen,
  Und durch den Blick zu fesseln das Gemüth,
94 Vereint wär' Alles dies als Nichts erschienen
  Bei jener Götterlust, die mich beglückt',
Als ich hinschaut' ins Lächeln ihrer Mienen,
97 Und durch die Kraft, die aus dem Blicke zückt,
  Hatt' ich dem Nest der Leda mich entrungen   98
  Und war zum schnellsten Himmelkreis entrückt.  99
100 Ich weiß, da er von Lebensglanz durchdrungen
Gleichförmig war, nicht, wo mit mir in ihn,
Nach ihrer Wahl, die Herrin eingedrungen.
103 Doch Sie, der klar mein Herzenswunsch erschien,
  Begann jetzt lächelnd in so sel'gen Wonnen,
Daß Gott in ihrem Blick zu lächeln schien:
106 "Sieh hier des Zirkellaufs Natur begonnen,
Durch die der Mittelpunkt in Ruhe weilt,
Und Alles rings umher den Flug gewonnen.
109 In diesem Himmel, der am schnellsten eilt,
Wohnt Gottes Geist nur, der die Lieb' entzündet,
Die ihn bewegt - die Kraft, die er vertheilt.
112 Ein Kreis von Licht und Liebesglut umwindet   112
Ihn, wie die Andern Er, allein verstehn
Kann diesen Kreis nur Er, der ihn gegründet.
115 Nichts läßt das Maß von seinem Lauf uns sehn!  115
Nach ihm nur mißt sich der der andern Sphären,
Wie man nach Hälft' und Fünftheil mißt die Zehn.
118 Wie sich in diesem Kreis die Wurzeln nähren  118
Der Zeit, wie ihr Gezweig zu andern strebt,
Das kannst du jetzt dir selber leicht erklären.
121 O Gier, die tief die Sterblichen begräbt  121
In ihrem Schlund, so kraftlos fortgerissen,
Daß sich kein Blick aus deinem Wirbel hebt;
124 Wohl blüht des Menschen Will', allein in Güssen   124
Strömt Regen drauf, der unaufhörlich rinnt,
Drob echte Pflaumen Butten werden müssen.
127 Unschuld und Treue trifft man nur im Kind,
Doch sie entweichen von den Kindern allen,
Bevor mit Flaum bedeckt die Wangen sind.
130 Die fasten noch beim ersten Kinderlallen,  130
Die, mit gelösten Zungen, gierig dann
In jedem Mond auf jede Speise fallen.
133 Der liebt die Mutter noch und hört sie an,
So lang' er lallt, der ihren Tod im Herzen
Bei voller Sprache kaum erwarten kann.
136 Drum muß, erst weiß, das Angesicht sich schwärzen
Der schönen Tochter deß, der, kommend, bringt   137
Und, gehend, mit sich nimmt des Tages Kerzen.
139 Du denke, wenn dich dies zum Staunen zwingt,  139
Daß dort kein Herrscher ist, um euch zu leiten,
Drob das Geschlecht, verirrt, mit Jammer ringt.
142 Doch eh' der Jänner fällt in Frühlingszeiten  142
Durch das von euch vergeßne Hunderttheil,
Wird dieser Kreise Lauf Gebrüll verbreiten,
145 Daß das Geschick, erharrt zu eurem Heil,
Damit's auf gradem Lauf die Flotte richte,
Den Spiegel dreht, wo jetzt das Vordertheil,  147
148 Und auf die Blüthen folgen echte Früchte."  148

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Achtundzwanzigster Gesang  

Erläuterungen:

1 Petrus - die drei Andern Jacobus, Johannes und Adam.

19 Das helle weiße Licht des Petrus hatte sich, wie V. 14 und 15 gesagt ist, geröthet. Eben so ändern die übrigen Lichter die Farbe, aus heiligem Eifer über dasjenige, was V. 22 ff. gerügt wird.

22 Bonifaz der Achte. Die Gesinnung des Dichters über diesen Papst ist aus vielen Stellen bereits hinreichend bekannt.

25 Meine Grabstatt, Rom, wo Petrus begraben ist.

26 Lucifer

31 Eine sehr schöne Vergleichung. Nicht die Religion ist Schuld daran, daß die Kirche verdorben ist. Aber sie erröthet hier, wie ein Unschuldiger über fremdes Vergehen erröthet.

36 Beim Tode Christi, der unschuldig für die Verbrechen der Menschen litt, wie die Religion unschuldig leidet für die Laster des Clerus.

40 Die Braut des Herrn, die Kirche. Die in den Versen 41, 44 und 45 benannten sind Päpste, welche den Märtyrertod starben.

46-48 Die Guten von den Bösen zu sondern, hat, wie Matth. Kap. 25 V. 33 schreibt, der Sohn Gottes beim Weltgerichte sich vorbehalten. Aber diese Gewalt ist nicht dem Papste verliehen, der sich in den Parteiungen der Guelfen und Ghibellinen die Stelle des Weltrichters anmaßt.

49 Die Schlüssel, das Zeichen der päpstlichen Würde und Gewalt, sollten nicht das Zeichen der Fahnen in weltlichen Kriegen gegen Christen sein.

52 Mein Bild, welches im päpstlichen Wappen steht.

58 Caorsiner, Johann der 21ste, aus Cahors. Cascogner, Clemens der 5te, aus Gascogne.

59 Nach meinem Blut, nach dem päpstlichen Stuhl, den Petrus durch sein Blut begründet, und den damit verbundenen weltlichen Vortheilen.

63 Mein Spiegel, Gott.

69 Zur Zeit etc., im Winter.

75 Er, der Raum, welcher die emporschwebenden Seligen von den Blicken Dante's trennte.

79 Zum erstenmal sah Dante (Ges. 22 V. 33) auf Beatricens Geheiß aus dem Gestirn der Zwillinge zur Erde zurück. Seit jener Zeit war dies Gestirn um das Viertheil seiner Bahn, vom Meridian bis zum westlichen Horizont, vorgerückt, folglich waren sechs Stunden verflossen.

82 Das Furth etc., die Säulen des Herkules. Der Strand, von Phönicien, von welchem Zeus die Tochter des Königs Agenor, Europa, entführte.

85 Ein Theil der östlichen Halbkugel war für Dante bereits verfinstert, weil die Sonne nach Westen vorgerückt war. Indeß Dante seine Reise machte, stand die Sonne ungefähr im 22sten Grade des Widders. Zwischen diesem Gestirn und dem der Zwillinge steht der Stier, so daß von den Zwillingen die Sonne noch um mehr, als das Zeichen des Stiers, entfernt war.

98 Dem Nest der Leda, dem Gestirn der Zwillinge, benannt von Castor und Pollux. Beide waren hervorgegangen aus dem einen der zwei Eier, mit welchen Jupiter in Schwangestalt die Leda befruchtet hatte; daher obige Benennung.

99 Zu dem primum mobile, von welchem schon früher die Rede gewesen ist. Dieser Kreis enthält keine gewissen Himmelskörper, sondern besteht aus durchsichtigem Glanze, daher er auch der Krystallhimmel genannt wird.

112 Das Empyreum, das, obgleich außer dem Raume, doch, da es die Kreise des Weltalls umfängt, als Kreis gedacht werden muß.

115 Weil kein gewisser uns sichtbarer Himmelskörper im primum mobile enthalten ist, so ermangelt es an einem Mittel, die Schnelligkeit seiner Bewegung zu berechnen. Weil er aber den anderen kleineren und sich langsamer bewegenden Kreisen durch seine Bewegung die ihrige mittheilt, so kann man von dieser auf jene schleißen.

118 Da die Zeit nur nach dem Umlaufe des Himmels zu messen ist und alle Himmelskörper vom primum mobile ihre Bewegungen erhalten, so ist in diesem allerdings die Wurzel der Zeit und ihres Maßes enthalten, die dann in die anderen Sterne ihre verschiedenen Zweige treibt.

121 Von diesem Kreise, der, von Gott unmittelbar bewegt, allen anderen Kreisen und den Himmelskörpern in ihnen ihre regelmäßige Bewegung leiht, jedem das Maß seiner Bewegung vorschreibt, und durch dies Maß die ewige harmonische Ordnung im großen Weltall erhält, wird der Dichter in seinem eben so natürlichen als erhabenen Ideengange aus das Unmaß geführt, zu welchem blinde Begierde die Menschen fortreißt, und auf die widernatürlichen Laster und Verbrechen, deren Mutter diese Begierde ist.

124 Des Menschen Wille ist gut von Natur. Aber die sinnlichen Begierden verwandeln ihn, wie die zu häufigen Regen, besonders in und unmittelbar nach der Blüthenzeit, die echten Früchte in verkrüppelte verwandeln.

130 Ob der Dichter hier die Ueberschreitung der kirchlichen Vorschriften über die Fastenzeit im Sinne gehabt, wie einige Ausleger meinen, mag umso mehr dahin gestellt bleiben, als Dante sonst vor dergleichen Menschensatzungen, und den für Geld su erkaufenden Dispensen von selbigen, eben keine große Hochachtung beweist. Auch ohne der Stelle diesen Sinn unterzulegen, wird man um eine des Dichters würdige Deutung nicht verlegen sein.

137 Die Natur, die Tochter der Alles belebenden Sonne. Ihre Reinheit wird durch jene bline Begierde getrübt.

139 Die Ursache der allgemeinen Verworrenheit und Verdorbenheit liegt darin, daß auf Erden kein Herrscher ist, der das Ganze leite und ordne, kein weltlicher, weil die Kirche ihm seine von Gott verliehene Macht geraubt hat - kein geistlicher, weil der Papst, seinem Berufe untreu, sich mit weltlichen Dingen abgiebt. Die Ordnung des Alls, die nie gestört wird, begründet sich auf die Herrschaft Gottes, des Einigen.

142 Man hatte schon zu Dante's Zeit und ehe Gregor XIII. den Kalender verbesserte, bemerkt, daß das Jahr nicht völlig 365 Tage 6 Stunden enthalte, und daß, um die Jahresrechnung auszugleichen, etwa in hundert Jahren ein Schalttag wegfallen müsse. Gregor ließ daher bekanntlich 1582 zehn Tage ganz weg, und nach dem 4. sogleich den 15. October schreiben. Da dies aber zu des Dichters Zeiten noch nicht geschehen war, so setzte er voraus, daß der Januar in der Folge der Zeit in den Frühling fallen werde. Ehe dieser, allerdings etwas entfernte Zeitpunkt kommt, wird, wie er meint, eine andere Zeit eintreten; ungeheure Erschütterungen werden erfolgen, aber die Menschen, die jetzt ihren Weg auf die dem Ziele entgegengesetzte Seite richten, werden, wie ein Schiff, das völlig umkehrt, auf die rechte Bahn gewandt werden.

147 Der Spiegel, der hintere Theil des Schiffs.

148 S. V. 126.