Uebersicht

Das Paradies.

Zwölfter Gesang.

1 Sobald mir nur das letzte Wort erschollen,
Das aus der sel'gen Himmelsflamme drang,
Begann die heil'ge Mühl' im Kreis zu rollen.  3
4 Doch eh' sie rund herum sich völlig schwang,
War sie umringt von einem zweiten Kranze.
Eingreifend Tanz in Tanz und Sang in Sang,
7 Sang, hold verhaucht bei diesem Strahlentanze,
Dem unsrer Musen und Sirenen Lied
So weicht, wie Wiederschein dem ersten Glanze,
10 Wie auf Gewölk, das leicht das Blau umzieht.
Man zwei gleichfarb'ge, gleichgespannte Bogen,
Wenn Juno ihrer Magd befiehlt, ersieht,
13 Erzeugt vom innern der, der ihn umzogen -
Der Rede Jener gleich, die Liebesglut,
Wie Sonnenglut die Dünste, weggesogen -
16 Die Bogen, die nach allgemeiner Flut
Der Herr dem Noah zeigte, zum Beweise
Des Bunds, durch den die Erde sicher ruht;  10-18
19 So drehte jetzt um uns sich gleicher Weise
Der ew'gen Rosen schöner Doppelkranz,
So glich der äußere dem innern Kreise.
22 Und als zuletzt der festlich frohe Tanz,
Die Lust des Sangs, der lichten Flammen Schweben,
Das Spiegeln Einer in der Andern Glanz,  24
25 Still ward in einem Nu, mit gleichem Streben,
Wie sich die Augen, wenn es dem gefällt,
Der sie bewegt, verschließen und erheben;
28 Klang aus dem Kreis, von neuem Licht erhellt,
Ein Laut, nach dem ich mich so eilig kehrte,
Wie der Magnet nach seinem Sterne schnellt.
31 Er sprach: "Die Liebe, die mich schön verklärte,   31
Ist's, die vom zweiten Hort mich sprechen heißt,
Durch den man hier so hoch den meinen ehrte.
34 Vom Andern spreche, wer den Einen preist;
Zusammen glänz' ihr Ruhm, so wie sie stritten
für einen Zweck und mit gleich tapferm Geist.
37 Des Heilands Heer, für welches schwer gelitten,  37
Der's neu bewehrt, zog zweifelnd und voll Leid
Der Fahne nach, schwach und mit trägen Schritten,
40 Als Er, der herrscht in Zeit und Ewigkeit,
Den Kriegern half, die hart gefährdet waren,
Aus Gnad' und nicht ob ihrer Würdigkeit,
42 Und, wie gesagt, um seine Braut zu wahren,
Zwei Kämpfer rief, durch deren Wort und That
Gesammelt wurden die zerstreuten Schaaren.
46 Woher der Zephyr haucht, um am Gestad  46 ff.
In Thal und Au die Knospen froh zu schwellen,
Wenn sich der Lenz in Schmuck Europen naht;
49 Dort, nah' dem Strand, wo hoch gethürmte Wellen
Weit hergewälzt, von Sturmeswuth bekriegt,
Dem Sonnenstrahl sich oft entgegenstellen,  49-51
52 Dort ist der Platz, wo Callaroga liegt,
Beschützt und wohlgedeckt vom großen Schilde,
Auf dem der Leu obsiegt und unterliegt.  53-54
55 Dort ward erzeugt im glücklichen Gefilde
Der glaubenstreue Buhle, der Athlet,
Dem Feind ein Graus, den Seinigen voll Milde.
58 Dem Geist, erschaffen kaum, ward zugeweht
Vom höchsten Geiste Kraft und hohe Gabe,
Und ungeboren war er schon Prophet.
61 Als mit der Glaubenstreue drauf der Knabe
Verlöbniß hielt, vom heil'gen Quell benetzt,
Wo gegenseit'ges Heil die Morgengabe,
64 Da ward die Zeugin, die sein Ja! ersetzt,
Schon von der Wunderfrucht, die ihm entsprieße,  60
Und seiner Schul' im Traumgesicht ergetzt61-66
67 Und daß sich, was er war, erkennen ließe,
Gebot ein Geist, vom Himmel hergesandt,
Daß man nach Ihm, der ihn besaß, ihn hieße. 67-69
70 Dominikus ward er darum benannt,
Der Gärtner, welchen als Gehülfen Christus
Für seinen Garten wählt' und sich verband.
73 Wohl schien er Bot' und treuer Knecht von Christus,
Wie das, was er zuerst geliebt, bezeugt,
Denn er vollzog den ersten Rath von Christus75
76 Wohl fand ihn öfters die, so ihn gesäugt.
Am Boden liegend, wach, in tiefem Schweigen,
Als spräch' er aus: Hierzu bin ich gezeugt76-78
79 O du, sein Vater, Felix wahr und eigen!
O Mutter, wahrhaft als Johann' erblüht, 79-80
Wenn wir bis zu des Namens Wurzel steigen!
82 Nicht für die Welt, für die man jetzt sich müht,
Nach des von Ostia, des Thaddäus Lehren,
Nein, für's wahrhafte Manna nur entglüht, 83-84
85 Sollt' er als Lehrer bald sich groß bewähren,
Den Weinberg pflegend, der bald Unkraut trägt,
Wenn nicht des Winzers Händ' ihm emsig wehren.
88 Vom Stuhl, der einst die Armen mild gehegt -  88
Einst, nicht durch Schuld des Stuhls - durch dessen Sünden,
Der sitzt und aus der Art der Väter schlägt,
91 Erbat er Zehnten nicht, noch fette Pfründen,
Erlaubniß nicht, Ablaß und Heil für Geld,
Um drei und vier für zehen, zu verkünden;  93
94 Nein, die, zu kämpfen mit der irren Welt,  94
Durch jenen Samen, dem die Bäum' entspringen,
Die zweimal zwölf, sich um dich her gestellt.
97 Die Pflichten des Apostels zu vollbringen,
Strebt' auf sein Will' und seine Wissenschaft,
Gleich Strömen, die aus tiefer Ader springen.
100 Und ihre Wellen stürzten grausenhaft
Auf ketzerisch Gestrüpp, es auszubrechen,
Und mit dem Widerstand wuchs ihre Kraft.
103 Er gab darauf den Ursprung manchen Bächen,
Die hinziehn durch der Kirche Gartenland,
Drob ihre Bäume schön're Frucht versprechen -
106 Wenn so ein Rad des Kriegeswagens stand,  106 ff.
Auf dem den Kampf die heil'ge Kirche wagte,
  Als sie die innern Meutrer überwand,
109 So muß dir jetzt, wie hoch das andre ragte
An Trefflichkeit, vollkommen deutlich sein,
Und was von ihm dir Thomas Gutes sagte.
112 Allein das Gleis hält jetzo Niemand ein,
Das in den Grund der Schwung des Rades prägte,
Und Essig wird, was vormals süßer Wein.
115 Die Schaar, die seiner Spur zu folgen pflegte,
Hat jetzt der Füße Stellung ganz gewandt,
Und geht zurück, wo er sich vorbewegte.
118 Wie schlecht die Saat ist, wird euch bald bekannt,
Denn bei der Ernte wird das Korn erlesen
Und eingescheuert, doch der Lolch verbrannt.
121 Zwar, will man Blatt für Blatt das Buch durchlesen,
Das unsre Namen zeigt, so sagt ein Blatt
Noch hier und dort! Ich bin, was ich gewesen,
124 Doch nicht Casal, noch Aquasparta hat  124
Dergleichen Glieder unsrer Schaar gegeben,
Da der zu streng ist, der zu schlaff und matt.
127 Jetzt wiss', ich bin Buonaventura's Leben,
Von Bagnoregio, und gering erschien
Beim großen Amt mir jedes andre Streben.
130 Hier sind Illuminat und Augustin,  130ff.
Zwei von den ersten barfuß-armen Schaaren,
Die durch den Strick in Gottes Huld gediehn.
133 Hier sind der von Sanct Victor zu gewahren,
  Und Mangiador, der Spanier Peter dann,
  Deß Ruhm der Welt zwölf Bücher offenbaren.
136 Nathan der Seher, Erzbischof Johann,
Anselm, Donat, der sich dem Werke weihte,
Deß sich die erste Kunst berühmen kann.
139 Ruban ist hier; und solchen Brüdern reihte
  Sich dieser an, begabt mit Sehergeist
  Abt Joachim, hell leuchtend mir zur Seite.
142 Wenn solchen Kämpfer meine Rede preist,  142
  So ist's des Thomas liebentflammte Weise,
  Die mit sich fort auch meine Rede reißt,
  Und mit mir fortzieht All' in diesem Kreise.

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Dreizehnter Gesang

Erläuterungen:

3  Man wird es am Dichter schon gewohnt sein, daß er, um das Erhabenste zu versinnlichen, nicht immer erhabene Bilder braucht, sondern daß ihm diejenigen die liebsten sind, welche das, was er ausdrücken will, am lebendigsten darstellen. So hier die Mühle, oder vielmehr das Mühlenrad, welches den Kranz der Seligen bezeichnet, die um den Dichter sich tanzend im Kreise bewegen, mit einem Willen und in einem Nu still stehen und eben so wieder ihren Tanz beginnen.

10-18 Der Dichter vergleicht den zweiten Kreis der Seligen dem Wiederscheine des Regenbogens, der einen zweiten an Form und Farben gleichen, doch schwächer glänzenden Bogen bildet. Dieser zweite Bogen verhält sich zu dem ersten, wie Echo's Nachhall zu dem Tone, den er wiederholt. - Die hier mehrfach in einander verschlungenen Bilder und Gleichnisse, den überfließenden Reichtum des Dichters an allen Mitteln der Darstellung beweisend, werden der Aufmerksamkeit des Lesers nicht entgehen. Daß Echo vor Liebe zu Narcissus verging, wird ebenso bekannt sein, als das Iris - der Regenbogen - die Botin der Juno ist.

24 Das Spiegeln, s. Fegefeuer Ges. 15 V. 95. Ueberhaupt möge man hier die angezogene schöne Stelle des Fegefeuers sich tief einprägen, da sie über viele Stellen des Paradieses helles Licht verbreitet.

31 Der Sprechende ist, wie wir V. 127 erfahren, der Kardinal Buonaventura, General des Minoriten- oder Franziskaner-Ordens. Wie der Dominikaner, Thomas von Aquino, das Leben des heiligen Franziskus, so erzählt hier der Franziskaner das des heiligen Dominikus, des zweiten Fürsten, des zweiten Horts der Kirche.

37 Das Heer des Heilands, die Kirche und deren Mitglieder, durch Christi Tod neu bewehrt mit den Waffen, durch welche der ewige Widersacher zu bekämpfen ist.

46 ff. Der heilige Dominik ward im Jahre 1170, folglich fast gleichzeitig mit dem heil. Franz, zu Callaroga in Altkastilien geboren. Seine Eltern, Felix Guzman und Johanne von Aza, stammten aus edlen Geschlechtern und noch jetzt leiten die Herzöge von Medina Sidonia ihre Herkunft vom Hause der Guzman ab. Auch Er stiftete einen Orden, dessen Regel gänzliche Armuth vorschrieb. Doch blieb zwischen diesem und dem Franziskaner-Orden manche Verschiedenheit, daher auch der heil. Franz die von Dominik in Antrag gebrachte Vereinigung beider Orden verweigerte. - Dominik wurde vorzüglich vom Papste Innocenz III. gebraucht, die Ketzer, besonders die Albigenser in Frankreich, auszuforschen, und gab dabei Veranlassung zur Stiftung des berüchtigten Inquisitionsgerichts. - Die Geburtsstadt des heil. Dominik liegt unfern dem atlantischen Meere, am westlichen Ende Europa's.

49-51 Diese Stelle lautet wörtlich übersetzt: Nicht weit von dem Schlagen der Wellen, hinter welchen durch die lange Flucht (oder auch durch das lange Ungestüm) die Sonne zuweilen für Jedermann sich verbirgt.

Nach einigen Commentatoren har Dante hiermit andeuten wollen, daß den Italienern die Sonne zur Zeit des Solstitiums hinter den hier bezeichneten Wellen, nämlich den des atlantischen Meeres untergehe. Diese Erklärung erscheint aber, wenn man den Text genauer ansieht, als unhaltbar. Das lange Ungestüm trüge ja dann nichts dazu bei, die Sonne zu verbergen, da sie auch bei ganz ebenem Meere hinter jenen Wellen untergeht. Die Worte: p e r  la lunga foga, wären daher ganz müßig, ja völlig falsch. Jedermann (ogni uomo) kann sich wohl auch nicht allein auf die Italiener beziehen, besonders wenn von einer Stadt in Spanien die Rede ist; und endlich sehen die Italiener die Sonne das ganze Jahr hindurch in der Vorstellung, niemals aber mit den körperlichen Augen, im atlantischen Meere untergehen, da die Augen, von Italien aus, dahin nicht reichen, und es daher einerlei ist, ob der Sonnenuntergang unmittelbar hinter der Meerenge von Gibraltar, oder südlich, oder nördlich von derselben stattfindet. Denn immer werden die Italiener sie im mittelländischen Meere und nicht im atlantischen Meere untergehen sehen. - Ganz einfach bietet sich aber durch die Worte selbst folgende Erklärung dar: Im atlantischen Meere liegt, nach des Dichters System, auf der andern Hemispähre kein Land. Das Ungestüm der Wellen wird daher dort durch nichts gehemmt, und die Wellen werden bekanntlich in einem freien Meere größer, als in einem Binnenmeere. Die lunga foga, diese großen Wellen veranlassend, ist also Ursache, daß zuweilen, wenn nämlich eben bei Sonnenuntergang die Wellen hoch gehen, die Sonne sich für Jedermann, nämlich an dem vom Dichter beschriebenen Standpunkte, an der spanischen Küste, noch vor dem Untergange hinter den hohen Wellen verbirgt.

53-54 In den Wappen der Könige von Kastilien war auf der einen Seite ein Löwe über und auf der andern ein Löwe unter einem festen Schlosse zu sehen.

60 Seine Mutter, als sie mit ihm schwanger ward, träumte, daß sie einen weißen und schwarzen Hund, mit einer Fackel im Munde gebären würde. Dies wurde als Symbol der Tracht des Ordens und des Feuereifers des Stifters betrachtet.

61-66 Die Zeugin bei der Taufe des heil. Dominik träumte, daß er einen Stern an der Stirn und einen im Nacken habe, und damit das Morgen- und Abendland erleuchte.

67-69 Der Herr - dominus - besaß den Knaben, und ließ ihn deshalb dominicus, dem Herrn eigen, nennen.

75 Der erste Rath von Christus. Willst du vollkommen sein, so gehe hin und verkaufe, was du hast, und gieb es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben. Matth. 19 V. 24.

76 - 78 Schon von der ersten Jugend an soll der Heilige durch Demuth und Strenge gegen sich selbst seinen künftigen Beruf bekundet haben.

79-80 Felix, glücklich, Johanna, aus dem Hebräischen herstammend, gnadenreich.

83-84 Der Kardinal von Ostia, berühmt als Schriftsteller über kanonisches Recht - Thaddäus, ein berühmter Arzt. Also nicht die Kunst, in der Welt sein Glück zu machen, nicht kirchliches Recht, nicht Arzneiwissenschaft studierte er, sondern nur das wahrhafte Manna, die wahre Lehre Christi.

88 Vom Stuhl, dem päpstlichen. Nicht in dem Amte des Papstes liegt die Schuld, daß den Armen von den Gütern der Kirche nichts zu Theil wird, sondern im Geize des Papstes.

93 Wer gestohlen oder auf andere unrechte Art ein Gut erworben hatte, gab zuweilen der Kirche einen Theil davon ab, und erhielt dann, in Folge eines bekannten Mißbrauchs, welcher wesentlich dazu beitrug, den gewaltigen Luther zur Reformation zu begeistern, Vergebung seiner Sünde und das Recht, das Uebrige zu behalten.

94 Er rang im Auftrage des Papstes mit dem Ketzern durch die Kraft des Glaubens, welchen die Inquisition durch die des irdischen Feuers verstärkte. (S. Anm. zu V. 46.)

106 ff. Von der Trefflichkeit des Dominikus folgert hier Bonaventura zurück auf die seines gleichgesinnten Genossen, des andern Fürsten der Kirche, des heil. Franziskus, und rügt nun, wie Thomas früher die Dominikaner tadelte, das Abirren seiner Ordensbrüder vom rechten Wege.

124 Aquasparta, Vaterstadt des Kardinals Matthäus, und Casale, des Ubertino. Diese beiden Männer gehörten dem Franziskanerorden an.

130 ff. Bei den noch vorkommenden Namen ist zu bemerken, daß der Spanier Peter, ein zu seiner Zeit berühmter Scholastiker, zwölf Bücher der Logik schrieb; daß Nathan, der Seher, derjenige ist, der dem König David Gottes Rache für den von ihm begangenen Ehebruch und Todtschlag verkündete (2. B. Sam. Kap. 12); Johann Chrysostomus, der berühmte Kirchenvater, Erzbischof von Konstantinopel; Donat, der Lehrer der ersten Kunst, die in den Schulen getrieben wird, der Grammatik. Ueber die Prophezeiungen, durch welche Abt Joachim sich berühmt gemacht, ist nichts Näheres zu finden gewesen. - Man wird bemerken, daß die Seligen, welche die beiden Kreise bilden, sämmtlich Gottesgelehrte und Weise sind, die in der Sonne, dem Quell des irdischen Lichts, wohnen. Nach ihrer mehrern oder mindern Berühmtheit gehören sie in den ersten hellern, oder in den zweiten schwächer strahlenden Kreis.

142 Der Franziskaner Bonaventura ist bewogen worden, den heiligen Dominik zu preisen, weil der Dominikaner Thomas den heil. Franz gepriesen hatte. Denn hier im Paradiese flößt, ohne Rücksicht auf Ordensverschiedenheit, das gleiche Verdienst gleiche Liebe ein, welche auch allen Andern, die die Kreise bilden, neuen Glanz verleiht, und sie, wie wir im nächsten Gesange sehen, zu neuen Tänzen fortzieht.