Uebersicht

Das Paradies.

Achter Gesang.

1 Die Welt glaubt' einst, unsel'gen Irrthum hegend,
  Daß Cypris toller Liebe Glut entflammt,
  Im dritten Epicyklus sich bewegend.
4 Drob nicht zu ihr allein mit Opferamt
  Und Weiherufen sich anbetend kehrte
  Das alte Volk, im alten Wahn verdammt;
7 Nein, auch Dionen und Cupiden ehrte,
  Als ihre Mutter sie, ihn als ihr Kind,
  Dem Dido ihren Schooß zum Sitz gewährte. 1-9
10 So ward nach ihr, von der mein Sang beginnt,
  Der Stern benannt, der, bald der Sonn' im Rücken,
  Bald ihr im Angesicht liebäugelnd minnt11-12
13 Nicht fühlt' ich mich in diesen Stern entrücken,
  Doch daß ich wirklich drinnen sei, entschied
  Der Herrin höh'res, schöneres Entzücken.
16 Und wie man Funken in der Flamme sieht,
  Und wie wir Stimmen in der Stimm' erkennen,
  Die aushält, wenn die andre kommt und flieht;
19 So sah ich Lichter hier im Lichte brennen,
  Und, nach dem Maß des ew'gen Schaun's erregt,
  So schien's im Kreis mehr oder minder rennen.
22 Kein Wind, unsichtbar oder sichtbar, pflegt 22
  So schnell aus kalter Wolk' herabzugleiten,
  Daß er nicht langsam schien' und schwer bewegt
25 Dem, der die Lichter uns entgegenschreiten
  Im Flug gesehn, aus jenem Kreis hervor,
  Den hohe Seraphim bewegend leiten27
28 Und hinter diesen Ersten klang's im Chor:
  Hosianna! Und seit ich den Ton vernommen
  Sehnt stets nach ihm sich brünstig Herz und Ohr.
31 Und einen sah ich dann uns näher kommen,
  Und er begann allein mit frohem Klang:
  "Willfährig sind wir Alle, dir zu frommen.
34 Wir wandeln hin, ein Kreis, ein Schwung, ein Drang,
  Uns nie vom Pfad der Himmelsfürsten trennend,
  Zu welchen du gesagt in deinem Sang:
37 Die ihr den dritten Himmel lenkt, erkennend; 37
  Für dich wird uns nicht schwer ein Stillestand,
  Für dich in so inbrünst'ger Liebe brennend."
40 Als ich zu Ihr voll Ehrfurcht mich gewandt,
  Und so der Herrin Blick sich ausgesprochen,
  Daß ich mich sicher und befriedigt fand,
43 Schaut' ich zum Licht, das mir in sich versprochen
  So Großes hatt', und sprach: ""Wer bist du, sprich!""
  Den Ton vor großer Inbrunst fast gebrochen.
46 O wie vermehrte, wie verschönte sich
  Der frohe Glanz in neuer Lust entglommen,
  Bei meinem Wort,   -  dann sprach er freudiglich:
49 "Schnell ward ich wieder eurer Erd' entnommen49
  Verweilt' ich mehr, dann wäre Vieles nicht
  Vom Uebel, das noch über euch wird kommen.
52 Nur meine Freude birgt dir mein Gesicht,
  Nur sie verhüllt mich rings im Strahlenrunde,
  So, wie den Seidenwurm die Seid' umflicht.
55 Du liebtest mich, und wohl aus gutem Grunde;
  Denn lebt' ich noch, gewiß, dir keimten jetzt 56
  Nicht Blätter nur aus unserm Liebesbunde.
58 Der linke Strand, den Rhodanus benetzt58
  Nachdem er mit der Sargue sich verbündet,
  Sah einst im Geist durch mich den Thron besetzt;
61 So auch Ausoniens Horn, wo, fest begründet, 61
  Bari, Gaëta und Crotona drohn,
  Von wo im Meere Verd' und Tronto mündet.
64 Auch schmückte mich des Landes Krone schon,
  Das längs durchstreift der Donau Wogenfülle,
  Nachdem sie aus Germaniens Gau'n entflohn65-66
67 Trinacria  -  bedeckt von schwarzer Hülle
  Zwischen Pachino und Pelor, am Schlund
  Des Meers, das schäumt bei Eurus Wuthgebrülle,
70 Durch Typhöus nicht, nein, durch den Schwefelgrund  - 67-70
  Der Fürsten harrt es noch, der edlen Sprossen 71 ff.
  Rudolphs und Karls, aus meinem Ehebund,
73 Wenn schlechte Herrschaft, welche stets verdrossen
  Der Unterworfne trägt, zum Mordgeschrei
  Nicht in Palermo jeden Mund erschlossen75
76 Ging Ahnung dessen meinem Bruder bei,
  So würd' er Kataloniens Bettler jagen,
  Damit ihr Geiz kein Sporn zum Aufruhr sei.
79 Noth thut's fürwahr, daß ihm die Freund' es sagen,
  Wenn er's nicht sieht: das volle Ladung schon
  Sein Nachen hat, und nichts kann weiter tragen.
82 Er, des freigeb'gen Vaters karger Sohn82
  Braucht Diener, die nicht Gold nur zu gewinnen
  Begierig sind, nicht blos erpicht auf Lohn." - 84
85 ""Herr, weil ich glaube, daß die Lust hier innen,
  Die deine Rede strömt in meine Brust,
  Du, wo die Güter enden und beginnen,
88 So deutlich schauest, wie sie mir bewußt,
  Wird sie mir werther  -  daß du beim Betrachten
  Des Herrn sie schauest, giebt mir neue Lust.
91 Mach' jetzt, wie froh mich deine Worte machten,
  Mich klar', und schaffe noch dem Zweifel Ruh':
  Wie süße Saaten bittre Früchte brachten?"" 93
94 So Ich  -  und Er: "Die Wahrheit fasse du,
  Und dem, was du gefragt, kehrst du zufrieden,
  Wie jetzt den Rücken, dann das Antlitz zu.
97 Das Gut, das ihren Lauf und ihren Frieden 97
  Den Himmeln gab, hat jedem Stern den Schein
  Und eine Kraft, als Vorsehung, beschieden.
100 Nicht nur der Wesen vorbestimmtes Sein
  Hat der durch sich vollkommne Geist erwogen,
  Er schließt in sich auch ihre Wohlfahrt ein.
103 Drum, was nur immer fliegt von diesem Bogen,
  Kommt, gleich dem Pfeil, auf vorbestimmten Gang
  Gewiß herab zu seinem Ziel geflogen.
106 Wär' dieses nicht, dann würd' im wirren Drang
  Was diese Himmel irgend wirkend schaffen,
  Kein Kunstwerk sein, nein, Graus und Untergang.  100-108
109 Dies kann nicht sein, wenn Jene nicht erschlaffen,
  Die Geister lenkend diese Sternenschaar,
  Der Urgeist auch, der dann sie schlecht erschaffen.
112 Ist diese Wahrheit nun dir völlig klar?"
  Und ich: ""Gewiß, ich seh's, Natur bleibt immer
  In dem, was nöthig ist, unwandelbar.""
115 Drum Er: "Nun sprich, wär's für den Menschen schlimmer115 ff.
  Wenn er nicht Bürger ward und einsam blieb?"
  Ich: ""Ja, und weitern Grund begehr' ich nimmer!""
118 "Und wär ein Staat, wenn in verschiednem Trieb
  Die Menschen nicht verschieden sich erwiesen?
  Nein, wenn die Wahrheit euer Meister schrieb!"
121 So folgert' er bis jetzt, um hier zu schließen:
  "Drum also muß der Menschen Thun hervor
  Verschieden aus verschiedner Wurzel sprießen.
124 Und Solon sproßt' und Xerxes so empor,
  Also Melchisedek, und der Erfinder125
  Der bei dem luft'gen Flug den Sohn verlor.
127 Natur, im Kreislauf, so die Menschenkinder
  Wie Wachs ausprägt, übt ihre Kunst, und sieht
  Auf dies und jenes Haus nicht mehr noch minder.
130 Dies ist's, was Esau's Keim von Jacob's schied,
  Drob auch Quirin entsproß so nied'rer Lende 131
  Daß man als Vater ihm den Mars beschied.
133 Und stets auf der Erzeuger Wegen fände
  Man die, so sie erzeugten, nur, wenn nicht
  Die Vorsehung des Höchsten überwände.
136 Was hinter dir war, sieh jetzt im Gesicht;
  Doch wie ich dein mich freue, geb' ich Kunde,
  Und dir durch einen Zusatz bess'res Licht.
139 Ist die Natur nicht mit dem Glück im Bunde139 ff.
  Dann kommt sie übel fort, wie jede Saat,
  Die man gesä't auf fremdem, falschem Grunde.
142 Und folgte der Natur des Menschen Pfad,
  Suchtet auf ihrem Grund ihr nach dem Rechten,
  Dann gäb' es gute Leut' und wackre That.
145 Doch solche, die geboren sind, zu fechten,
  Macht ihr zu Priestern wider die Natur,
  Und macht zu Fürsten die, so pred'gen möchten,
148 Und deshalb schweift ihr von der rechten Spur.

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Neunter Gesang

Erläuterungen:

1  -  9 Epicyklus. Nach dem Ptolemäischen Systeme, nach welchem die Erde als der feststehende Mittelpunkt der Gestirne betrachtet wurde, vermochte man den Lauf der Planeten nicht mit dem der übrigen Weltkörper in Uebereinstimmung zu bringen, und die oft ganz unregelmäßig scheinende Bahn derselben nicht zu erklären. Man nahm daher an, daß jeder Planet sich in einem besondern kleinern Kreise für sich drehe, und mit und in diesem den großen Kreislauf durch das Firmament mache. Diese kleineren besonderen Kreise heißen Epicykel. Durch sie hielt man die zuweilen als rückgängig erscheinende Bewegung der Planeten für erklärt. -  In dem dritten dieser Epicykel glaubt man, wie der Dichter hier sich ausdrückt, nach der Mythologie der Griechen und Römer, die Venus in dem nach ihr benannten Sterne zu sehen, und ehrte sie, sammt ihrer Mutter und ihrem Sohne.

11-12 Die Venus geht der Sonne nach, wenn sie untergeht, und ihr voraus, wenn sie aufgeht.

22  Nach der Physik des Aristoteles steigen die Dünste bis zur kalten Zone, und werden von dieser als Regen und Sturm zurückgestoßen. Sichtbar oder unsichtbar ist der Wind, je nachdem er Regenwolken mit sich bringt, oder nicht.

27  Den hohe Seraphim etc. S. die Anm. zu Ges. 2 V. 127-141.

37  Die ihr den dritten Himmel lenkt, erkennend. Voi, che 'ntendendo il terzo ciel movete  -  Anfang der ersten vom Dichter in Convito erläuterten Canzonen. Die Engel erkennen den Willen Gottes und leiten dadurch die Sterne mit ihren Einflüssen. Dershalb werden sie auch in der scholastischen Theologie Intelligenzen genannt.

49  Der hier sprechende Geist ist Karl Martell, erstgeborner Sohn Karls des Lahmen, Königs von Neapel. Schon bei Lebzeiten seines Vaters wurde er nach dem von seiner Mutter ererbten Rechte König von Ungarn, und würde nach dem Tode des Vaters auch das Königreich Neapel und die Provence geerbt haben. Allein er starb im Jahre 1295, früher als sein Vater, und seine Kinder wurden nach dem Tode Karls des Lahmen im Jahre 1309 von seinem Bruder Robert verdrängt, welcher die Herrschaft jener Länder sich anzueignen wußte. - Ueber die Freundschaft zwischen Dante und Karl Martell findet sich kein geschichtliches Zeugniß.

56  Du würdest die Früchte unserer Freundschaft genießen.

58  Der Theil der Provence, der dem Könige von Neapel gehörte.

61  Neapel, bezeichnet durch drei in verschiedenen Provinzen des Landes belegene Städte und zwei in die beiden Meere nach Westen und nach Osten sich ergießenden Flüsse.

65-66  Ungarn.

67-70  Sicilien, Trinacria genannt, wegen seiner dreieckigen Gestalt und der drei Vorgebirge Lilybäum, Pelorum und Pachynum. Die beiden letzteren begränzen die Küste, die dem Ostwinde ausgesetzt ist. Dort verbreitet sich der Rauch des Aetna, nicht, weil nach der alten Fabel dort Typhöus, der Gigant, unter den Berg hinabgestürzt ist, sondern weil der im Grunde liegende Schwefel das unterirdische Feuer hervorbringt.

71 ff.  Die Kinder Martells, dessen Gemahlin eine Tochter Kaiser Rudolphs gewesen war. Rudolph und Karl sind also die Großväter dieser Kinder. Sie würden Hoffnung haben, Sicilien zu beherrschen, wenn nicht die schlechte und tyrannische Herrschaft der Franzosen das bekannte Blutbad, die Sicilianische Vesper, veranlaßt hätte (1282), in deren Folge Sicilien in die Gewalt Peter von Arragonien fiel. Auch später, als Sicilien wieder durch Vertrag dem Hause Anjou zurückgegeben werden sollte, widersetzten sich die Sicilianer, jener schlechten Herrschaft eingedenk, der Vollziehung, und die Nachkommen der Enkelin Kaiser Friedrichs des Zweiten behielten noch lange Sicilien, als einzigen Rest der Herrlichkeit des versunkenen Geschlechts der Hohenstaufen.

75  Robert war umgeben von Kataloniern, die er, während er sich in Spanien als Bürge für seinen Vater aufgehalten, kennen gelernt hatte, und die, von ihm begünstigt, sich in Neapel zu bereichern suchten.

82 Robert braucht, da er selbst geizig ist, Diener, die vom Geize frei sind, damit sie wieder gut machen, was er durch dieses Laster verderben möchte.

84  Wo die Güter enden und beginnen  -  in Gott, dem Urquell und dem höchsten aller Güter. Die Seligen erkennen, was in dem Dichter vorgeht, weil sie Gott schauen, in welchem das All, folglich auch die Seele jedes Menschen, sich spiegelt.

93  Wie süße Saaten etc. Wie ein freigebiger Vater einen kargen Sohn erzeugte (V. 82).

97  Das Gut  -  Gott. Seine Vorsehung äußert sich mittelbar durch die Kräfte, welche er den Sternen verliehen hat.

100-108  Nicht nur für die Existenz der Wesen, sondern auch für die Dauer und Wohlfahrt derselben sorgt Gott. Darum ist in der Wirksamkeit der Sterne nichts Zufälliges, da dies nur Verwirrung und durch diese Untergang veranlassen würde, was bei der Vollkommenheit der Schöpfung nicht sein kann.

115 ff.  Die Staatsgesellschaft dient dazu, die Kräfte des Menschen auszubilden. Aber ein Staat kann ohne Verschiedenheit der Kräfte, wie schon Aristoteles bemerkt, nicht bestehen. Deshalb ruft die Vorsehung nach ihren Zwecken den Gesetzgeber, den Herrscher, den Priester und den Künstler hervor, ohne auf das Geschlecht Rücksicht zu nehmen.

125  Der Erfinder, Dädalus, dessen Sohn Icarus mit Flügeln von Wachs, die Jener gemacht, aus Kreta entfliegend, sich der Sonne zu sehr näherte, und ins Meer sank, weil seine Flügel schmolzen.

131  Quirin, Romulus. Sein Vater blieb unbekannt, daher der Volksglaube seine Erzeugung dem Mars zuschrieb.

139 ff. Das Glück, Fortuna als Dienerin Gottes, wie sie in der Hölle Ges. 7 V. 73 ff. geschildert ist.  -  Uebrigens wird zu den mannigfachen Betrachtungen, welche dieser Gesang erweckt, derjenige Leser, der die göttliche Komödie zu genießen berufen ist, nicht erst durch den Uebersetzer angeregt zu werden brauchen.