Uebersicht

Das Paradies.

Dritter Gesang.

1 Die Sonne, die mich einst mit Glut erfüllt  1
Beweisend hatte sie und widerlegend
Der Wahrheit holdes Antlitz mir enthüllt.
4 Und ich, belehrt, nicht länger Zweifel hegend,
Wollt' eben, daß ich's sei, gestehn, und stand,  
Das Haupt, so weit sich's ziemt, emporbewegend.  5  -  6
7 Doch ein Gesicht erschien, und so gespannt
Hielt ich den Blick darauf, um's zu gewahren,
Daß mein Geständniß der Erinn'rung schwand.
10 Und wie von Gläsern, von durchsicht'gen, klaren,  10
Von Weihern, welche seicht, doch still und rein,
Den Boden unverdunkelt offenbaren,
13 Ein Antlitz widerstrahlt, so schwach und fein,
Daß man erkennen würd' in größ'rer Schnelle
Auf weißer Stirn der Perle bleichen Schein;
16 So sah ich manch Gesicht an jener Stelle,
Und war im Gegensatz des Wahns, durch den  
Einst Lieb' entflammt ward zwischen Mann und Quelle.  17-18
19 Denn plötzlich glaubt' ich, wie ich sie ersehn,
Es wären Spiegelbilder, und bemühte
Mich, ringsumher ihr Urbild zu erspähn.
22 Doch sah ich nichts, und zweifelnd im Gemüthe,
Schaut' ich ins Licht der süßen Führerin,
Die lächelnd in den heil'gen Augen glühte.
25 Und Sie begann: "Nicht staun' in deinem Sinn,
Belächl' ich deine kindischen Gedanken,
Noch gehst du auf der Wahrheit strauchelnd hin,
28 Um, wie du pflegst, dem Wahne zuzuwanken.
Wahrhafte Wesen zeigt dir dies Gesicht,
Die untreu dem Gelübd' in Schuld versanken.
31 Sprich, hör' und glaube; denn das wahre Licht,  31
Das sie beseligt, wird es nie gestatten,
Daß ihm zu folgen sich ihr Fuß entbricht.
34 Ich wandte mich, und sprach zu einem Schatten,
Der sprechenslustig schien, schnell, als ein Mann,
Den längst gequält der Neugier Stacheln hatten:
37 ""O Seele, die das ew'ge Licht gewann,
Die selig hier die Süßigkeiten machten,
Die nur, wer sie geschmeckt, begreifen kann,
40 O sei jetzt freundlich mir. Mein ganzes Trachten
Ist ja dein Nam' und euer Loos. Drum sprich!""  -
Und Sie, bereit, mit Augen, welche lachten,
43 Sprach: "Unsre Lieb' erschließt sich williglich
Gerechtem Wunsch, gleich der, der Liebe Bronnen,  43-44
Die ihr Gefolg gebildet will nach sich.
46 Dort auf der Welt gehört' ich zu den Nonnen,
Doch wende nur mir die Erinn'rung zu,
Und durch die höh're Schönheit, höhern Wonnen
49 Daß ich Piccarda bin, erkennest du,  49
Mit diesen Allen, die sich selig nennen,
Zum trägsten Kreis versetzt in Wonn' und Ruh'.  51
52 All' unsre Triebe, die allein entbrennen
In Lust des heil'gen Geists, sind hoch ergetzt,
Weil sie in seiner Weihe sich erkennen.
55 Die Loos, von dir vielleicht gering geschätzt,
Ward uns zu Theile, weil wir dort auf Erden
Verabsäumt' die Gelübd' und sie verletzt."
58 Drauf ich: ""Euch glänzt in Antlitz und Geberden,
Ich weiß nicht was, von Gottheit wunderbar,
Und läßt die ersten Züg' unkenntlich werden,
61 Drob ich so säumig im Erkennen war;
Jetzt hilft mir, was du sprichst, dem Auge trauen,
Und stellt mir deutlicher dein Bildniß dar.
64 Doch sprich: Ihr, glücklich hier in diesen Auen,
Zieht euch nach höherm Ort nicht die Begier,
Um mehr euch zu befreunden, mehr zu schauen?""
67 Ein wenig lächelten die Schatten hier,
Dann, als ob sie in erster Liebe glühte,68
Erwiederte sie froh und wonnig mir:  
70 "Bruder, hier stillt die Kraft der Lieb' und Güte
Jedweden Wunsch, und völlig gnügt uns dies,
Und nicht nach Anderm dürstet das Gemüthe.
73 Denn wenn es höhern Ort uns wünschen ließ,
So würd' es ja dem Willen widerstehen,
Der uns in diesen niedern Kreis verwies.
76 Dies kann in diesen Sphären nicht geschehen;
Lieb' ist das Band des ewigen Vereins,
Mit der nicht Kampf noch Widerstand bestehen.
79 Vielmehr ist's Wesen dieses sel'gen Seins,
Nur in dem Willen Gottes hinzuwallen,
Drum schmilzt hier Aller Wunsch und Trieb in Eins.
82 Und, wie wir sind von Grad zu Grad, muß Allen
Wie Ihm, deß Will' allein nach Seiner Spur
Den unsern lenkt, dies ganze Reich gefallen.
85 Und unser Frieden ist sein Wille nur,
Dies Meer, wohin sich Alles muß bewegen,
Was Er schafft, was hervorbringt die Natur."  87
88 Nun sah ich: Paradies ist allerwegen,
Wo Himmel ist, strömt auch von oben her
Vom höchsten Gut nicht gleich der Gnade Regen.  -
91 Wie bei verschiednen Speisen man nicht mehr
Von dieser will, und sich nach jener wendet,
Für diese dankt, und noch verlangt von der;
94 So ich mit Wink und Wort, als sie geendet,
Um zu erfahren, was sie dort gewebt,  95
Allein verlassen, ehe sie's vollendet.
97 "Vollkomnes Leben und Verdienst erhebt
Ein Weib," so sprach sie, " zu den höhern Kreisen,  98
In deren Tracht und Schleier Manche strebt,
100 In Schlaf und Wachen treu sich zu erweisen
Dem Bräutigam, dem jeder Schwur gefällt,
Den reine Liebestrieb' ihm schwören heißen.
103 Ihr nachzufolgen floh ich jung die Welt,
Weiht' ihrem Orden mich, und war beflissen
Dem gnug zu thun, was sein Gesetz enthält.
106 Doch Menschen, ruchlos mehr als gut, entrissen
Gewaltsam dem Verließ, dem süßen, mich.
Wie drauf mein Leben war  -  Gott wird es wissen!
109 Der andre Glanz, der mir zur Rechten dich
So freudig hell bestrahlt, denn er entzündet
In unsrer Sphäre ganzem Schimmer sich,
112 Versteht von sich, was ich von mir verkündet.
Denn man entriß, wie meinem, ihrem Haupt
Den Schleier, der der Nonnen Stirn umwindet.
115 Doch, ob man Rückkehr ihr zur Welt erlaubt,
Blieb doch ihr Herz bekrönt mit jenem Kranze,
Den ihrer Stirn verruchte That geraubt.
118 Sie ist das Licht der trefflichen Constanze,  118
Die mit dem zweiten Sturm aus Schwabenland
Den dritten zeugt', umstrahlt vom letzten Glanze."
121 Piccarda sprach's, mir heiter zugewandt,
Und fing ein Ave an, indem sie singend,
Wie Schweres in der tiefen Flut, verschwand,
124 Mein Blick, ihr nach, so weit er konnte, dringend,
Erhob sich dann, sobald er sie verlor,
Nach einem Ziele größern Sehnens ringend,
127 Nach Beatricens Antlitz ganz empor,
Doch als ihr Aug', ein Blitz, in meins geschlagen,
So daß zuerst es niedersank davor,
130 Da macht' es zögern mich mit weitern Fragen.

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Vierter Gesang

Erläuterungen:

1  Die Sonne, Beatrix.

5  -  6  Der Dichter hat mit ehrerbietig geneigtem Haupte seiner Lehrerin zugehört. Nur so weit die Ehrfurcht es erlaubte, hob er jetzt das Haupt, um zu gestehen, daß er überzeugt sei.

10  Das tiefe Wasser und das Glas, hinter welchem ein dunkler Körper liegt, zeigen die Bilder im deutlichen Umrisse. Aber was Dante sieht, zeigt sich ihm matt und kaum erkennbar, wie das Bild, welches das ganz seichte und klare Wasser und das mit nichts belegte Glas zurückwirft.

17  -  18  Narcissus, sein Bild in der Quelle sehend, hielt es für eine wirkliche Gestalt, während Dante wirkliche Lichtgestalten nur für zurückgespiegelte Bilder hält. Im Monde, der dem höchsten Kreise am fernsten ist, der auch wie im vorhergehenden Gesange beschrieben ist, minder helle Flecken zeigt, sind die Seelen derer selig, welche ihr Gelübde nicht vollständig erfüllten. Aber sie sind selig, vollkommen befriedigt und beruhigt, weil Gottes Wille ihnen diesen Kreis anwies, und weil die Seligkeit nur in völliger Hingebung in den Willen Gottes besteht.

31  Den auf Gott blickenden und von seinem Lichte durchdrungenen Seelen ist jede Täuschung unmöglich.

43  - 44  Gleich der (Liebe), der Liebe Bronnen, gleich der Liebe Gottes, gleich Gott selbst, welcher will, daß Alle ihm nacheifern sollen.

49  Piccarda, Schwester des Corso und Forese aus der Familie Donati. Aus dem Kloster der heiligen Clara, in welchem sie Profeß gethan, wurde sie von dem erstern mit Gewalt entführt.

51  Der trägste Kreis  -  der des Mondes, weil dieser dieselbe Zeit braucht, um den engsten Kreis zu durchlaufen, in welcher die höheren Sterne die weiteren und weitesten Bahnen zurücklegen.

68  Die erste Liebe, die erste Kraft, das erste Licht; mit diesen und ähnlichen Worten wird man oft Gott in der Folge bezeichnet finden.  -  Die nachfolgende schöne Stelle, welche das Wesen der Seligkeit ausdrückt, wird keiner Erläuterung bedürfen. Ueberall ist Himmel, wo diese Gesinnung, und Paradies ist überall, wo Himmel ist. Auch werden wir die Seelen dieses niedrigsten und trägsten Kreises im Empyreo in der himmlischen Rose wiederfinden.

87  Was von Gott unmittelbar erschaffen, oder mittelbar durch seine Dienerin, die Natur, hervorgebracht ist. Von diesem Unterschiede zwischen der mittel- und unmittelbaren Schöpfung wird noch in mehreren Stellen die Rede sein.

95  Das Gewebe, daß sie unvollendet verlassen, ist das Gelübde, das sie nicht vollkommen erfüllt hatte.

98  Ein Weib, die heilige Clara.

118  Constanze, Tochter Königs Roger von Sicilien, wurde mit Heinrich dem Sechsten, dem Sohne Friedrichs des Ersten, vermählt, und Mutter Friedrichs des Zweiten. Daß sie in Palermo Nonne gewesen und dem Kloster entrissen worden sei, scheint geschichtlich nicht erwiesen zu sein. Vielleicht wurde dies Gerücht nur durch die Anhänger des Papstes Urban III. verbreitet, welchem es unangenehm war, durch diese Ehe die Macht der Hohenstaufen auch im Süden des Kirchenstaats begründet zu wissen. Die oben bezeichneten drei Hohenstaufischen Kaiser nennt der Dichter die drei Stürme aus Schwabenland, und wirklich hatten sie sich in Italien als solche verkündet. Mit Friedrich dem Zweiten erlosch der Glanz dieses Geschlechts.