Uebersicht

Das Paradies.

Erster Gesang.

1 Der Ruhm deß, der bewegt das große Ganze,
Durchdringt das All, und diesem Theil gewährt
Er minder, jenem mehr von seinem Glanze.
4 Im Himmel, den sein hellstes Licht verklärt,
War ich und sah, was wieder zu erzählen
Der nicht vermag, der von dort oben kehrt.
7 Denn, nahn dem Ziel des Sehnens unsre Seelen,
Das unsern Geist zur tiefsten Tiefe zieht,
Dann muß der Rückweg dem Gedächtniß fehlen.  7-9
10 Doch Alles, was im heiligen Gebiet
Nur einzusammeln war von sel'ger Schöne,
Der edle Schatz, sei Stoff jetzt meinem Lied.
13 Apollo, Güt'ger, leih mir deine Töne
Zum letzten Werk  -  mach' ein Gefäß aus mir,
Werth, daß es dein geliebter Lorbeer kröne.
16 Mir gnügt' ein Gipfel des Parnaß bis hier,  16
Doch, soll der Rennbahn Ziel der Sieger grüßen,
So fleh' ich jetzt um beid' empor zu dir.
19 Den Odem hauch' in mich, den reinen, süßen,
Daß du hier stark, wie bei dem Wettkampf seist,
Den Marsyas kämpft, um frevlen Stolz zu büßen. 21
22 O Götterkraft, wenn du dich jetzt mir leihst,
Den Nachschein von des sel'gen Reiches Glanze
Zu malen aus dem Bild in meinem Geist,
25 Dann siehest du mich nahn der theuern Pflanze 25
Und, durch den Stoff und dich deß werth, geschmückt
Und reich gekrönt mein Haupt mit ihrem Kranze.
28 Wenn man ihr Laub, o Vater, selten pflückt,
Um Cäsars und des Dichters Sieg zu ehren,
Weil ird'scher Wunsch mit Schuld und Schmach uns drückt,
31 Muß Freud' es wohl dem freud'gen Gott gewähren,
Den Delphos preist, kehrt nun mit kühnem Muth
Nach Daphne's Laub ein Herz all sein Begehren.
34 Und weckt ein kleiner Funk' oft große Glut,
So fleht nach mir zu höherer Verkündung
Ein Andrer wohl um deine Hülf' und Hut.  -
37 Den Sterblichen entsteigt aus mancher Mündung 37
Das Licht der Welt; allein in Einer sind
Vier Kreise mit drei Kreuzen in Verbindung,
40 Wo's bessern Lauf mit besserm Stern beginnt,
So daß der Erde Wachs in diesem Zeichen
Von ihm ein schöneres Gepräg gewinnt.
43 In ihm hieß Sol den Tag bei uns erbleichen 43
Und dort entglühn; und auf dem Halbkreis hier
Die schwarze Nacht sich nahn und dort entweichen.
46 Und links gewandt erschien Beatrix mir46
Und wie kein Aar je fest und ungeblendet
Zur Sonne sah, so blickte sie zu ihr.
49 Und wie der erste Strahl den zweiten sendet,
Der, ihm entflammt, hell auf- und rückwärts blitzt,
Dem Pilgrim gleich, der sich zur Heimath wendet,
52 So macht' ihr Blick, der durch die Augen itzt
Mein Innres traf, zur Sonn' auch meinen steigen,
Mit größrer Kraft als sonst der Mensch besitzt.
55 Viel darf man dort, was hier zu übersteigen 55
Die Kraft pflegt, die uns nimmer dort gebricht,
Am Ort, den Gott schuf als der Menschheit eigen.
58 Nicht lang' ertrug ich's, doch so wenig nicht,
Um nicht zu sehn, daß, wie dem Feu'r entnommen,
Das Eisen sprüht, sie sprüht' in Glut und Licht.
61 Und plötzlich schien ein Tag zum Tag zu kommen,
Als sei durch den, der's kann, am Himmelsrand 62
Noch eine zweite neue Sonn' entglommen.
64 Fest schauend nach den ew'gen Kreisen stand
Beatrix dort, und ihr ins glanzerhellte
Gesicht sah ich, von oben abgewandt,
67 Und fühlte, da mir Lust das Innre schwellte,
Was Glaukus fühlt', als er das Kraut geschmeckt,
Das ihn im Meer den Göttern zugesellte.
70 Verzückung fühlt' ich. Was sie sei, entdeckt
Die Sprache nicht, mag's drum dies Beispiel lehren,
Wenn je in euch die Gnade sie erweckt.
73 Ob ich nur Seele war?   -  Du mag'st erklären,
O Liebe, Himmelslenkerin, die mich
Mit ihrem Licht erhob zu jenen Sphären.
76 Als nun der Kreis, der durch dich ewiglich 76
In Sehnsucht rollt, mein Aug' an sich gezogen
Mit Harmonie'n, vertheilt, gemischt durch dich,
79 Durchflammte Sonnenglut des Himmels Bogen
So weit hin, wie von Strom- und Regenflut
Kein See noch je erstreckt die breiten Wogen.
82 Des Klanges Neuheit und die lichte Glut,
Sie machten, daß ich vor Begierde brannte,
Wie nimmer sie erweckt ein andres Gut;
85 Drob Sie, die mich, wie ich mich selbst, erkannte,
Mir zu befried'gen den erregten Geist,
Noch eh' ich fragte, schon sich zu mir wandte,
88 Und sprach: "Ein Wahn ist schuld, daß du nicht weißt,
Was du sogleich erkennen wirst und sehen,
Sobald du dich von seinem Trug befreist.
91 Du glaubst noch auf der Erde fest zu stehen,
Doch flieht kein Blitz aus seinem Vaterland
So schnell, wie du jetzt eilst, hinauf zu gehen."
94 Kaum das der erste Zweifel mir verschwand,
Durch's kurze Wort und ihres Lächelns Frieden,
Als wieder schon ein neuer mich umwand.
97 Ich sprach: ""Vom Staunen ruht' ich schon zufrieden;
Doch steig' ich jetzt durch leichte Stoff' empor98
Drum ist dazu mir neuer Grund beschieden.""
100 Ein Seufzer weht' aus ihrem Mund hervor,
Dann sah sie hin auf mich, wie auf den Knaben
Die Mutter blickt, die sagen will: du Thor!
103 "Die Dinge sämmtlich," so begann Sie, "haben  103 ff.
Unter sich Ordnung, und das All ist nur
Durch diese Form gottähnlich und erhaben.
106 Die höhern Wesen sehn in ihr die Spur  106
Der Kraft, der ew'gen, die zum Ziel gegeben
Vom Schöpfer ward der Ordnung der Natur.
109 Nach ihr nun sehn wir alle Wesen streben,
Ob hoch ihr Loos, ob niedrig sei; ob mehr,
Ob minder nah' sie ihrem Ursprung leben.
112 Sie treiben durch des Seins unendlich Meer
Geleitet vom Instinct, den Gott als Steuer
Jedwedem gab, zu manchem Hafen her.
115 Er trägt zum Mond empor das rege Feuer,
Er ist's, der rund den Bau der Erde drückt,
Er ist der Herzschläg' Ordner und Erneuer.
118 Nicht nur auf Wesen, die vernunftlos, zückt
Er, wie ein Bogen, seine sichern Pfeile,
Auf die auch, die Vernunft und Liebe schmückt.
121 Die Vorsicht, die zum Ganzen eint die Theile,
Die durch ihr Licht des Himmels Ruh' erhält,
Indem der Kreis sich dreht von größter Eile122-123
124 Läßt zum bestimmten Platz in jener Welt
Uns jetzo durch die Kraft der Sehne bringen,
Die, was sie treibt, nach heiterm Ziele schnellt.
127 Wahr ist's, daß, wie oft Formen nicht gelingen,
Wie sie in sich des Künstlers Geist empfahn,
Wenn spröde mit der Kunst die Stoffe ringen,
130 So das Geschöpf oft weicht von solcher Bahn,
Denn ihm ist von Natur die Kraft verliehen,
Trotz jener Kraft, sich anderm Ziel zu nahn,
133 Wenn erdenwärts es falsche Reize ziehen;
  Wie aus der Wolke, wenn das Wetter grollt,
  Zum Boden hin des Feuers Strahlen fliehen.
136 Nun staunst du, war ich klar, wie ich gewollt,
  So wenig drob, daß du emporgestiegen,
  Als daß der Bach vom Berg zur Tiefe rollt.
139 Bliebst du, von Hemmniß frei, am Boden liegen,
Erstaunenswerther wär's, als sähest du
Träg an den Grund sich lebend Feuer schmiegen."
142 Hier wandt' ihr Antlitz sich dem Himmel zu.

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Zweiter Gesang

Erläuterungen:

7  - 9  Dante selbst erläutert diese Stelle im dreiunddreißgsten Gesange, wo er V. 58 ff. sich mit einem Manne vergleicht, der eben aus einem Traume erwacht und die Empfindung noch fühlt, die ihm der Traum eingeflößt hatte, obwohl ihm das Gebild selbst entschwunden ist. Was der Geist im Reiche der Ahnung sieht, erscheint nicht als bestimmte Gestalt, nicht den irdischen Sinnen wahrnehmbar. Und nur durch diese prägen sich dem Gedächtnisse die Bilder ein.

16  Der Sinn ist: Ich bedarf zu meiner Darstellung von jetzt an aller Kraft, deren ein Dichter fähig ist. Landino bemerkt: daß, wie der eine Gipfel des Parnaß dem Bacchus, der andere dem Apollo geweiht gewesen, der Dichter hier andeute, daß er nun nicht nur, wie vorher, der niedrigen Wissenschaft (der Philosophie), sondern auch der höhern (der Theologie) bedürfe. Andere Ausleger stimmen damit überein.

21  Marsyas hoffte durch sein Flötenspiel das Saitenspiel Apolls zu übertreffen, und verlor im Wettkampfe den Preis des Sieges und seine Haut.

25 Der theuern Pflanze, dem Lorbeer, in welchen Daphne, von Apoll geliebt und verfolgt, sich verwandelt hatte.

37  Dante schreibt, wie schon aus einigen Stellen der beiden ersten Theile zu ersehen gewesen ist, und in diesem dritten Theile sich noch deutlicher zeigen wird, den Sternen große Einflüsse auf die Erde und ihre Bewohner zu, und hält auch das Zeichen, in welchem die Sonne (das Licht der Welt) auf- und untergeht, für einflußreich. Während seiner Reise stand die Sonne im Zeichen des Widders. In dieser Zeit, der Frühlings-Aequinoctial-Zeit, durchschneiden sich gegenseitig der Horizont, der Zodiacus, der Aequator und der Colurus aequinoctialis, so, daß diese vier Kreise drei Kreuze bilden.

43  Man wird hier und in der folgenden Darstellung nicht vergessen, daß wir den Dichter am Schlusse des Fegefeuers im irdischen Paradiese auf dem Gipfel des Läuterungsberges verließen. Dort wurde es Morgen, während in Italien, und auf der östlichen Halbkugel überhaupt, wo der Dichter, indem er seine Reise beschreibt, sich befindet, die Nacht eintrat.

46  Links gewandt. Sie schauen gegen Osten, und haben folglich auf der südlichen Hemisphäre zur linken Hand die Sonne.

55  Der Dichter, geläutert und gereinigt, ist in den Zustand zurückgekehrt, in welchem die ersten Eltern an diesem Orte waren, in den Zustand der Unschuld. In diesem ist der Blick fähiger, das himmlische Licht zu schauen, als in dem der Verderbniß. Aber erst durch den Widerschein dieses Lichts, der von Beatricens Antlitz sich spiegelt, und von Kreis zu Kreis heller schimmert, wird der Blick gestärkt, um es selbst zu schauen und zu ertragen.

62  Glaukus, ein Fischer von Euböa, wurde durch den Genuß eines Krautes in einen Meergott verwandelt.

76  Der Kreis etc. Der Himmel mit seinen Sternen, welche der Drang, sich mit Gott zu vereinigen, in ewige Bewegung setzt. Gott vertheilt und mischt die Harmonie der Sphären, indem er jeder einzelnen ihren Laut giebt, und alle durch Liebe zu Einklang und Wohllaut verbindet, worin alle Töne vermischt als einer erklingen.

98  Die leichten Stoffe sind die Luft und das Feuer, durch deren Sphären der Dichter emporsteigt, da er doch, wegen seines schweren Körpers, nach dem gewöhnlichen Gesetze, in ihnen hätte sinken müssen.

103 ff.  Durch das Gesetz der Ordnung wird jedes Einzelne verpflichtet, sich dem Ganzen und seinen Zwecken unterzuordnen; hierdurch wird das All zur Einheit, folglich Gott ähnlich. Durch den Instinct wird jedem Wesen, dem leblosen und lebenden, dem vernunftlosen und vernünftigen, das Ziel angewiesen, nach welchem es, jenem Gesetze gemäß, streben soll. Die Vernünftigen sollen hiernach zu Gott emporstreben. Aber dem freien Geiste ist die Kraft verliehen, sich von dieser ihm vorgezeichneten Bahn abzuwenden, und dies geschieht, wenn er, erdwärts gezogen durch falsche Reize, dem Streben nach Gott entsagt. Er gleicht dann dem Feuer, welches, obwohl es von Natur immer in die Höhe strebt, dennoch als Blitz aus der Höhe zur Erde niederfällt. Ist aber der Mensch geläutert und gegen die Verführung durch irdischen Reiz gesichert, dann muß jener natürliche Trieb frei und ohne alle Gegenwirkung des Irdischen auf ihn wirken. Der Mensch fliegt dann nach demselben Gesetz himmelwärts, nach welchem die Flamme empor und der Bach hinab strebt. Der Dichter, von den irdischen Fehlern gereinigt, muß diesem Gesetze gemäß gen Himmel eilen.

106  Die höhern Wesen, die mit Vernunft begabten.

122-123  Das Empyreum, der oberste Himmel, welcher in Gottes unmittelbarem Lichte fest und unbeweglich ist. In ihm dreht sich das Primum mobile, der Kreis, welcher seine Bewegung aus jenem Himmel unmittelbar erhält und sie den anderen Kreisen mittheilt. Er muß in seiner Bewegung der schnellste sein, weil er alle anderen Kreise umspannt, folglich der weiteste ist, und alle übrigen in seine Bewegung mit fortreißt.