Uebersicht

Die Hölle.

Achtzehnter Gesang.

1 Ein Ort der Hölle, Namens Uebelsäcken,  1
  Ist eisenfarbig, ganz erbaut von Stein,
  So auch die Dämme, die ringsum ihn decken.
4 Grad in der Mitte dieses Lands der Pein
  Gähnt hohl ein Brunnen, weit mit tiefem Schlunde,
  Von dem wird seines Orts die Rede sein.
7 Uns zwischen Höhl' und Felswand gehn im Runde
  Rings so die Dämme, daß der Thäler zehn
  Abschnitte bilden in dem tiefen Grunde.
10 Wie um ein Schloß mehrfache Gräben gehn,
  Dahinter wohlverwahrt die Mauern ragen,
  Und sicherer den Feinden widerstehn;
13 So war umgürtet dieser Ort der Plagen:
  Und wie man Brücken pflegt zum andern Strand
  Aus solcher festen Schlösser Thor zu schlagen,
16 So sprangen Zacken aus der Felsenwand,
  Durchschnitten Wäll' und Gräben erst und gingen
  Wie Räderspeichen bis zum Brunnenrand.
19 Kaum konnten wir vom Kreuz Geryons springen,  19
  So ging links hin mein Meister, und befahl
  Auch mir, auf seinen Spuren vorzudringen.
22 Und ganz erfüllt sah ich das erste Thal
  Rechts, wohin Klagen meine Blicke riefen,
  Von neuen Peinigern und neuer Qual.
25 Es waren nackte Sünder in den Tiefen,  25
  Getheilt, denn hier zog gegen uns die Schaar,
  Und dort mit uns, nur daß sie schneller liefen;
28 Gleichwie man pflegt in Rom beim Jubeljahr
  Zum Uebergang die Brücke herzurichten,
  Ob übergroßen Andrangs, also zwar,
31 Daß hier gewendet sind mit den Gesichten,
  Die zu Sanct Peter wallen, nach dem Schloß,
  Die Andern dort sich nach dem Berge richten.
34 Auf schwarzem Stein sprang hier und dort ein Troß
  Von Teufeln nach, von schrecklichen, gehörnten,
  Die schlugen wild auf sie von hinten los.
37 Wie sie beim ersten Schlage laufen lernten!
  Wie sie, nicht harrend auf den zweiten Hieb,
  Mit jähen langen Sprüngen sich entfernten!
40 So fiel auf Einen, den die Geißel trieb,
  Mein Auge jetzt hinab, bei dem ich dachte,
  Daß er nicht fremd mir auf der Erde blieb.
43 Scharf blickt' ich hin, damit ich ihn betrachte,
  Auch hielt mein Führer an, der's zugestand,
  Daß ich zurück erst ein'ge Schritte machte.
46 Zwar sucht' er, bodenwärts den Blick gewandt,
  Mir mit Gestalt und Angesicht zu geizen,
  Doch rief ich, da ich dennoch ihn erkannt:
49 ""Wenn deine Züge nicht zum Irrthum reizen,
  So mein ich, daß du Venedigo sei'st;  50
  Doch weshalb steckst du in so scharfen Beizen?""
52 "Nur ungern sag' ich's," sprach er drauf, "doch reißt
  Dein klares Wort mich hin, das mich bezwungen,
  Weil's alte Zeit zurückführt meinem Geist.
55 Ich bin's, der in Ghisolen so gedrungen,
  Daß sie nach des Markgrafen Willen that,
  Wie ganz entstellt auch das Gerücht erklungen.
58 Und aus Bologna ist auf gleichem Pfad
  An diesen Qualort so viel Volk gekommen
  Als jetzo diese Stadt kaum Bürger hat.
61 Und sollte dir herbei ein Zweifel kommen,
  So denk', um sicher auf mein Wort zu bau'n,
  Wie Habsucht uns die Herzen eingenommen."
64 Sprach's, und ein Teufel kam, um einzuhau'n,
  Mit hochgeschwungener Geißel her und sagte:
  "Fort, Kuppler, fort, hier giebt's nicht feile Frau'n."
67 Zum Führer ging ich, da ich bebt' und zagte,
  Und bald gelangten wir an einen Ort,
  Wo aus der Wand ein Felsen vorwärts ragte.
70 Und dieser Zacken dient' als Brücke dort.
  Leicht klommen beide wir hinauf und zogen
  Rechtshin aus jenen ew'gen Kreisen fort.
73 Bald dort, wo unter uns der Fels als Bogen
  Sich höhlt' und Durchgang der Gepeitschten war,
  Sprach er: "In gleicher Richtung fortgezogen,   74
76 Sind wir bis jetzt mit jener zweiten Schaar,   75
  Drum konnten wir sie nicht von vorne sehen,
  Jetzt aber nimm die Angesichter wahr."
79 Wir blieben nun am Rand der Brücke stehen
  Und sahn den Schwarm, der uns entgegensprang,
  Denn eilig hieß die Geißel Alle gehen.
82 Da sprach mein Hort: "Sieh, noch mit Stolz im Gang,  82
  Den Großen, der sich keine Klag' erlaubte,
  Dem aller Schmerz noch keine Thrän' entrang,
85 So königlich noch an Gestalt und Haupte!
  Der Jason ist's, der durch Verstand und Muth
  Das Widdervließ dem Wolk von Kolchis raubte.
88 Nach Lemnos kam er, als in ihrer Wuth
  Die Frau'n, die glühend Eifersucht durchzückte,
  Vergossen hatten aller Männer Blut;
91 Wo er durch Worte, täuschend ausgeschmückte,
  Berückt Hypsipylen das junge Herz,
  Die alle Frau'n von Lemnos erst berückte.
94 Dort ließ er schwanger sie in ihrem Schmerz,
  Dies bracht' ihn her; und gleiche Straf' erheischen
Medea's Leiden, einst ihm Spiel und Scherz.
97 Auch gehn mit ihm, die gleicher Weise täuschen.
  Allein dies sei vom ersten Thal genug,
  Und denen, so die Geißeln drin zerfleischen."   99
100 Im Kreuz den zweiten Damm durchschneidend, trug
Der Felspfad uns, der, auf den Widerlagen
Der Dämme, hier den andern Bogen schlug.
103 Dort, aus dem zweiten Sack, klang dumpfes Klagen.   103
  Und Leute sahn wir tief im Grunde sich
Laut schnaufend mit den flachen Händen schlagen.
106 Der Dämme Seiten waren schimmelig
Vom untern Dunste, der wie Teig dort klebte,
Für Aug' und Nase feindlich widerlich,
109 Doch vor dem Blick, so sehr ich forschte, schwebte
Noch dunkle Nacht, weil tief der Abgrund ist,
Bis ich des Felsenbogens Höh' erstrebte.
112 Von hier, wo erst der Blick die Tiefe mißt,
Sah ich viel Leut' in tiefem Kothe stecken,
Und, wie mir's vorkam, war es Menschenmist.
115 Ich forscht' und sah ein Haupt sich vorwärts strecken,
Doch ganz beschmutzt mit Koth, drum konnt' ich nicht,
Ob's Lai', ob Pfaffe sei, genau entdecken.
118 Da schrie er her: "Was bist du so erpicht,
Mich mehr, als andre Schmutz'ge, zu gewahren?
Und ich: ""Weil, ist mir recht, ich dein Gesicht
121 Bereits gesehn, allein mit trocknen Haaren.
Alex Interminei heißest du,   122
Drum seh ich mehr auf dich, als jene Schaaren.""
124 Und Er, die Stirn sich schlagend, rief mir zu:
"Mich stürzte Schmeichelei herab zur Hölle,
Die ich dort übte sonder Rast und Ruh."
127 Da sprach zu mir mein guter Meister: "Stelle
Dich etwas vor, und in die Augen fällt
Dir eine schmutz'ge Dirn' an jener Stelle.
130 Sieh die Zerzauste, die sich kratzt und krellt
Mit koth'gen Nägeln, jetzt aufs Neue greulich
Im Mist versinkt und jetzt sich aufrecht stellt.
133 Die Hure Thais ist's, jetzt so abscheulich.  133
Fragt einst ihr Buhl: "Steh ich in Gunst bei dir?"
Versetzte sie: "Ei, ganz erstaunlich! Freilich!"
136 Doch sei gesättigt unsre Schaulust hier."

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Neunzehnter Gesang

Erläuterungen:

1 Uebelsäcken, im Original Malebolge. Bolgia heißt ein Felleisen, ein Mantelsack. Diesen Namen giebt Dante den zehn Abtheilungen des achten Kreises, in welchen die verschiedenen Gattungen des Betrugs bestraft werden, wahrscheinlich um deshalb, weil er sie als lange enge Schlünde beschreibt, und in dieser Gestalt Aehnlichkeit mit einem Mantelsack, folglich wohl auch mit einem gewöhnlichen Sacke findet. Da die Benennung Malebolge im Italienischen einen bestimmten Begriff erweckt, so hat der Uebersetzer geglaubt, sie durch ein Wort wiedergeben zu müssen, welches einen ähnlichen Begriff ausdrückt. Ganz dasselbe Bild giebt es allerdings nicht wieder, weil ein Sack nicht, wie ein liegendes Felleisen, der Länge nach oben geöffnet ist. Indessen ist kein passenderes und zugleich deutliches Bild, welches auch schicklich einen Ortsnamen abgeben könnte, zu finden gewesen. Das Bild des Ortes selbst, wie es bis zum achtzehnten Verse gezeichnet ist, wird hoffentlich bei aufmerksamer Betrachtung deutlich genug hervortreten, und jede Erläuterung unnöthig machen.

19 Die Dichter gehen immer zur linken Seite in den Höllentrichter hinab. Wenn sie daher im Kreise vorwärts gehen, haben sie zur linken Hand den oben bereits durchreisten Theil der Hölle, zur rechten den tiefern ihnen noch unbekannten Kreis. So hier, indem sie auf dem Felsendamm hingehen, der die erste Abtheilung des achten Kreises nach oben zu begränzt. Man wird, wenn man auch auf diese für die Tiefen des Gedichts sehr wenig bedeutenden Nebensachen Achtung giebt, bemerken, daß der Dichter sie mit einer bewunderungswürdigen Genauigkeit und Consequenz behandelt hat.

25 In dieser ersten Abtheilung werden diejenigen bestraft, welche den Betrug gegen das weibliche Geschlecht verübten, die Kuppler und die Verführer. Beide sind getrennt, so daß sie in zwei Reihen in entgegengesetzter Richtung neben einander hinlaufen. Dies wird versinnlicht durch das Bild der in Rom bei der Feier des Jubeljahrs errichteten Brücke, die der Länge nach in der Mitte getheilt ist, so daß auf der einen Seite diejenigen gehen, die nach Sanct Peter hinwallen, auf der andern die, welche von dort zurückkommen. In diesem Entgegenkommen der Kuppler und Verführer wird man ein Bild ihres gegenseitigen Verhältnisses erkennen.

50 Venedigo von Bologna, der, durch Geld gewonnen, seine schöne Schwester Ghisole, verheirathet mit Nicolo degli Alighieri, überredete, sich dem Markgrafen Obiz von Este hinzugeben.

74 Siehe oben die allgemeine Beschreibung des achten Kreises V. 14-18.

75 Indem die Dichter auf dem Damme fortgehen, sehen sie nur der einen der beiden in entgegengesetzter Richtung fortlaufenden Schaaren ins Gesicht, die andere erblicken sie nur von hinten. Jetzt, indem sie auf der Felsenbrücke stehen, die über den Strafort führt, können sie, je nachdem sie sich rechts oder links wenden, die eine oder andere Gattung von vorn sehen.

82 Die jetzt den Dichtern Entgegenkommenden sind die Verführer.

Mit den Argonauten kam Jason nach Lemnos. Kurz vor ihrer Ankunft hatte Venus aus Zorn gegen die Lemnierinnen den Männern eine bittere Abneigung gegen die dortigen Frauen eingeflößt, dergestalt, daß sie an deren Statt sich mit thracischen Sclavinnen verbanden. Die Frauen ermordeten dafür in einer Nacht die Männer im Schlafe. Nur Hypsipyle rettete, die anderen Frauen täuschend, ihrem Vater, dem Könige Thoas, das Leben. In Lemnos angekommen, ersetzten die Argonauten zwei Jahre lang die Stelle der Getödteten. Die junge Hypsipyle ward dem Jason selbst zu Theil. Aber der Zweck der Reise rief ihn weiter und zerriß die Verbindung. In Kolchis erwarb er sich die Liebe der Königstochter Medea und erbeutete mit ihrer Hülfe das goldene Vließ. Aber auch dieser wurde er untreu, um sich mit der Tochter Kreons zu vermählen.

99 Wenn der Uebersetzer die Schatten zerfleischen läßt, so wird man ihm wohl verzeihen, wenn man später liest, daß ein Teufel einem Schatten mit dem Haken ein Stück Fleisch aus dem Arme reißt, der Dichter selbst aber einem andern die Haare ausrauft.

103 Zweite Abtheilung des achten Kreises, in welcher die Schmeichler bestraft werden. Wie verächtlich dem Dichter dieses Schandgezücht sein mußte, wird man wohl aus seiner ganzen Art und Weise erkennen. Er versenkt sie in Menschenkoth, in welchem sie gegen sich selbst wüthen, da sie sehen, zu welchem Ziele sie die Süßigkeit ihrer Worte geführt hat.

122 Alex Interminei, ein Edelmann von Lucca, als großer Schmeichler bekannt.

133 Thais, die Buhlerin aus den Eunuchen des Terenz, als Repräsentantin der ganzen Gattung buhlerisch sich einschmeichelnder Dirnen.