Uebersicht

Die Hölle.

Siebenter Gesang.

1 Aleph, Pape Satan, Pape Satan! 1
Erhob, rauh kluchzend, Plutus seine Stimme.
Und Er, der Alles wohl verstand, begann:
4 "Getrost, nicht fürchte dich vor seinem Grimme,
Durch alle seine Macht wird's nicht verwehrt,
Daß ich mit dir den Felsen niederklimme."
7 Und dann, zu dem geschwollnen Mund gekehrt,
Rief er:"Wolf, schweige, du Vermaledeiter!
Von deiner Wuth sei in dir selbst verzehrt!
10 Wir gehn nicht ohne Grund zur Tiefe weiter,
Dort will man's, dort, wo einst den Stolz mit Schmach
Gezüchtigt Michael der Himmelsstreiter."
13 Gleichwie die Segel, wenn der Mast zerbrach,
Erst aufgebläht, zum Knäuel niederrollen,
So fiel das Unthier, das so drohend sprach.
16 So ging's zum vierten Kreis im schmerzenvollen 16
Unsel'gen Schacht, der alle Schuld umfängt,
Von welcher je im Weltall Kund' erschollen.
19 Gerechtigkeit des Herrn, dein Walten drängt
So neue Müh'n zusammen, solche Plagen!
O blinde Schuld, die hier den Lohn empfängt!
22 Wie der Charybdis Wogen sich zerschlagen, 22
Zum Gegenstoß gewälzt von Süd und Nord,
So muß sich hier das Volk im Wirbel jagen.
25 Noch nirgend war die Schaar so groß, wie dort.
Laut heulend kamen sie von beiden Enden,
Und wälzten Lasten mit den Brüsten fort.
28 Und stießen sich, um sich beim Prall zu wenden,
Und dann zurück im Bogenlauf zu ziehn,
Und schrien sich zu: Was halten? - Was verschwenden?
31 So durch den Kreis, in dem kein Lichtstrahl schien,
Ging's beiderseits dann nach der andern Seite,
Indem sie beid' ihr schändlich Schmähwort schrien.
34 Dann wandte Jeder sich zum neuen Streite,
Sobald er seines Zirkels Hälft' umkreist;
Und ich, der ich den Armen Mitleid weihte,
37 Sprach: ""Meister, o wie zagt, wie bangt mein Geist?
Wer ist dies Volk? die, links hier, scheinen Pfaffen!
Ist's Jeder, der uns eine Glatze weist?""
40 Und er: "Dies sind die Blinden, Geistes-Schlaffen.
Sie wußten in der Welt zum Geben nie,
Und nie zum Sparen sich ein Maß zu schaffen.
43 Und dies erhellt' aus dem, was Jeder schrie,
Wenn sie im Kreis gelangt zu zweien Orten;
Da trennt der Gegensatz des Lasters sie.
46 Die mit den Glatzen waren Pfaffen dorten:
  Auch öffneten wohl Papst und Kardinal
  Dem Geiz als Zwingherrn ihres Herzens Pforten."
49 Drauf sprach ich: ""Meister, kenn' in dieser Zahl 49
Ich Keinen, der im Schmutz so eitlen Strebens
Sich hier erworben hat die ew'ge Qual?""
52 Und Er zu mir:"Dein Suchen ist vergebens,
Unkenntlich macht sie ihr verdientes Loos
Durch Koth und Schmuz bewußtlos dunkeln Lebens.
55 Sie kommen stets zum Stoß und Gegenstoß,
Bis sie erstehn - die mit verschnittnen Haaren,
Die mit geschloßner Faust - dem Grabes-Schooß.
58 Versetzt hat sie schlecht Geben und schlecht Sparen
  Von jener heitern Welt in diesen Zwist;
Nicht sag' ich welchen, denn du kannst's gewahren.
61 Sieh hier, mein Sohn, welch eitles Ding es ist
Um jedes Gut Fortunens, das die Leute
Zum Kampfe reizt und zu Gewalt und List.
64 Gieb diesen Müden alles Gold zur Beute,
Das jemals war und ist auf eurer Welt,
Und keine Stunde Ruh giebt's ihnen heute."
67 Und ich:""Mein Meister, sprich, wenn dir's gefällt,
Wer ist Fortuna doch, die, wie ich hörte,
In ihren Klau'n der Erde Güter hält?""
70 Und Er zu mir: "O Arme, Trugbethörte!
Unwissende, zum Schlimmsten stets geneigt!
O daß mein Spruch jetzt Aller Wahn zerstörte!
73 Er, dessen Weisheit Alles übersteigt, 73
Erschuf die Himmel und gab ihnen Leitung,
Daß jeder Theil sich jedem leuchtend zeigt
76 Durch seines Lichts gleichmäßige Verbreitung.
So gab er schaffend auch die Dienerin
Dem Erdenglanz zur Führung und Begleitung.
79 Von Volk zu Volk, von Blut zu Blute hin,
Bringt sie das eitle Gut, das nirgends dauert
Und kümmert nicht sich um der Menschen Sinn.
82 Dies Volk befiehlt, ein andres dient und trauert,
Wie jene Führerin das Urtheil spricht,
Die wie die Schlang' im Gras verborgen lauert.
85 Nichts gegen sie hilft eurer Weisheit Licht.
Sie sorgt, erkennt, vollzieht in ihrem Reiche,
Und weicht darin den andern Göttern nicht.
88 Nie haben Stillstand ihre Wechselstreiche;
So macht sie, von Nothwendigkeit gejagt,
Aus Reichen Arme, dann aus Armen Reiche.
91 Sie ist's, die ihr ans Kreuz oft wüthend schlagt,
Von der ihr oft, wenn ihr, anstatt zu schmollen,
Sie loben solltet, fälschlich Böses sagt.
94 Doch sie, die Sel'ge, hört nicht euer Grollen;
In andrer Erstgeschaffnen Seligkeit
Läßt sie, nichts achtend, ihre Sphäre rollen. -
97 Doch eilig weiter jetzt zu größerm Leid!
Die Stern', aufsteigend als ich fortgeschritten, 98
Gehn abwärts itzt, und unser Weg ist weit."
100 Am andern Rand ward nun der Kreis durchschnitten, 100
An einem Quell, der siedend dort entspringt,
Des Wellen fort durch einen Graben glitten.
103 Mehr trüb als schwarz ist seine Flut und bringt,
Wenn man ihr folgt, hinab zu rauhen Wegen,
Durch die man mit Beschwerde niederdringt.
106 Dann qualmt ein Sumpf, mit Namen Styx, entgegen,
Dort, wo der traur'ge Fluß vom Laufe ruht,
Am Fuß des gräulichen Gestads gelegen,
109 Dort stand ich nun und sah nach jener Flut,
Und sah im Sumpfe Leute, koth'ge, nackte,
Zugleich des Jammers Bilder und der Wuth.
112 Man schlug sich nicht mit Fäusten nur, man hackte
Mit Haupt und Brust und Füßen auf sich ein,
Indem man wild sich mit den Zähnen packte.
115 Mein Meister sprach: "Sohn, sieh in dieser Pein
Die Seelen derer, so der Zorn bezwungen.
Auch unter'm Wasser müssen Viele sein;
118 Und wenn ein Seufzer ihnen sich entrungen,
Dann steigen Blasen auf von ihrer Noth,
Drum sieh von Kreisen diese Flut durchschwungen.
121 Und immer rufen sie, versenkt in Koth:
Wir waren elend einst im Sonnenschimmer,
Und hegten Groll und Tücke bis zum Tod,
124 Und elend sind wir nun im Schlamm noch immer.
Dies Lied klingt gurgelnd vor aus ihrem Schlund,
Stets schluckend, enden sie die Worte nimmer."
127 So gingen, zwischen Pfuhl und festem Grund,
Wir an dem schmutz'gen Teich in weitem Bogen,
Den Blick gewandt zum Schlamm im Mund,
130 Bis wir zu eines Thurmes Fuß gezogen.

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Achter Gesang

Erläuterungen::

1 Im Original: Pape Satan, Pape Satan, Aleppe. Nach der Meinung der meisten Ausleger ist Pape die griechische und lateinische Interjection der Verwunderung, Papae! - Aleppe, das hebräische Aleph, welches auch so viel als Herr oder Oberhaupt bedeutet. Plutus, meint man, will mit jenem Ausrufe dem Satan seine Verwunderung darüber ausdrücken, daß er einen Lebendigen in die Hölle eindringen lasse. Worte aus verschiedenen Sprachen vermischt Plutus, der Dämon des Reichtums, weil die Gier nach Geld alle Völker und Sprachen vermischt und verwirret. Abgebrochen ist die Rede durch die Wuth des Sprechenden. Andere glauben, daß Dante, durch seinen Haß gegen den Papst verleitet, und dem Geize desselben alles Unheil beimessend, Pape statt Papa é, geschrieben habe. Dann würde die Stelle bedeuten: Der Papst ist der Teufel, der oberste. Da er im Gesange selbst vorzüglich Priester als Geizige darstellt, so ist die Deutung nicht ganz verwerflich. Eine andere wunderliche Vermuthung stellt der wunderliche Benvenuto Cellini auf, welche man in der vorletzten Ausgabe von Goethe's Werken Bd. 16 S. 85 nachlesen mag.[Siehe Zitat Benvenuto Cellini und Goethe unter "Oversigt/Titelseite"].

16 In diesem Kreise werden diejenigen bestraft, welche die irdischen Güter nicht zu würdigen wissen, indem sie theils als einzigen Zweck ihres Strebens sie zu hoch, theils als Mittel, die gemeine Noth des Lebens von sich selbst und Andern abzuwenden, zu niedrig schätzen, - die Geizigen und Verschwender. Geiz und Neigung zur Verschwendung dürfen an sich wohl kaum für solche Laster gelten, welche in der Hölle bestraft zu werden verdienen, da sie mehr Fehler des Verstandes, als des Gemüthes sind, und nicht immer zu Verletzung der Pflichten führen. Aber sie sind jedem höhern Streben ein Hinderniß und verleiten nur zu oft zum Verbrechen. Daher dürfte es wohl ganz folgerecht sein, daß der Dichter, welcher jede schlechte Eigenschaft erkennen will, um sich von ihr zu reinigen, sie hier aufführt. Bemerkenswerth ist, daß Dante außer den Verschwendern uns später die gewaltsamen Vergeuder als eine besondere Gattung von Sündern unter denjenigen aufführt, welche gegen sich selbst Gewalt verüben. Vergl. Ges. 11 V. 40 f. Ges. 13 V. 115 f.

22 Das Bild, unter welchem uns hier der Seelenzustand der Geizigen und Verschwender dargestellt wird, muß als ein sehr scharffsinnig erfundenes und meisterhaft ausgeführtes erkannt werden. Das mühsame und peinliche Streben beider ist ein völlig zweckloses, und beide suchen sich nur auf, um sich, sobald sie sich getroffen, feindselig abzustoßen. Denn der Geizige bedarf des Verschwenders, um sich höhere Vortheile, als die erlaubten, - der Verschwender des Geizigen um sich neue Mittel zur Befriedigung seiner verworrenen Neigung zu verschaffen. Aber wie beide sich nur gegenseitig auf Kosten des Andern zu benutzen suchen, so kann auch die Folgen ihres Zusammentreffens nur Feindseligkeit sein, die sich dann nicht, wie der Haß in kräftigeren Naturen, sondern durch gemeines Schimpfen und durch Vorwerfen des gegenseitigen Fehlers äußert. So sehen wir hier Geizige und Verschwender, gleichmäßig Lasten mit den Brüsten nach verschiedenen Seiten im Kreise wälzen, bis sie in der Mitte desselben an einander treffen, ihre schlechte Neigung gegenseitig schmähend, sich abstoßen, worauf sie dann wieder ihre Lasten zweck- und nutzlos zurückwälzen, um sich aufs Neue mit gleicher Wirkung zu treffen.

49 Dies erläutert dasjenige, was wir oben bei V. 16 angedeutet. Kein namhafter Verbrecher ist unter diesen Leuten. Nur solche sind es, welche durch ihre zwecklose und gemeine Neigung irgend einen Namen zu erwerben verhindert worden sind. Alles verschwenden bis aufs Letzte heißt im Italienischen sprichwörtlich: dissipare in sino ai peli. - Daher die Verschwender hier durch die verschnittenen Haare bezeichnet werden. Die geschlossene Faust des Geizigen erläutert sich von selbst.

73 Wir werden im dritten Theile erfahren, wie die Sterne in den verschiedenen Kreise des Himmels von oben empfangen, um nach unten damit nach allen Seiten hin zu wirken, und wie diese Wirkung von seligen Lenkern (beati motori) geregelt wird (Paradies Ges. 2 V. 112-129). Eine solche von Gott zur Vertheilung des Erdengutes bestimmte Lenkerin ist Fortuna, welche wir in der obigen schönen Stelle bezeichnet sehen. Sie gehört zu den Intelligenzen, wie die scholastische Sprache sie nennt, nach gewöhnlicher Sprache zu den Engeln, welche Gott vor anderen Wesen zu seinen Dienern erschuf.

98 Die Worte: als ich fortgeschritten, weisen auf die Worte im letzten Verse des ersten Gesanges: Da schritt er fort - (im Original: quando mi mossi - allor si mosse). Als er fortschritt, verging der Tag, wie wir im ersten Verse des zweiten Gesanges lesen; es war also in der Zeit der Tag- und Nachtgleiche, die sechste Stunde nach Mittag vorbei. Da nun die Sterne die Hälfte ihrer Bahn über unserm Halbkreis in sechs Stunden vollenden, so muß jetzt, da die bei der Abreise aufgestiegenen Sterne wieder abwärts gehen, Mitternacht vorbei sein. Die Reise des Dichters hat daher bis jetzt sechs Stunden gedauert.

100 An dem Rande, welcher gegen den Abgrund zu den vierten Kreis begränzt, steigt der Dichter in den fünften hinab, in welchem diejenigen bestraft werden, welche der Zorn bezwungen hat. Wenn wir zuvörderst erfahren, daß der siedende Quell, welcher den Sumpf Styx, den eigentlichen Strafort, bildet, mehr trübe als schwarz ist, so mögen wir hierin eine Andeutung erkennen, daß der Zorn mit allen seinen schrecklichen Folgen weit mehr aus Unklarheit und Bewußtlosigkeit, als aus verbrecherischer Neigung entspringt. In dem aus diesem Quell gebildeten Sumpfe finden wir die Schatten sich im Schmutze herumwälzend, gegenseitig, ohne Grund und Zweck, sich bekämpfend, am Ende gegen sich selbst wüthend (Ges. 8 V. 62, 63). Nicht einmal die Worte, durch welche sie sich beklagen wollen, können sie deutlich vorbringen, weil das traurige und schmutzige Element, in welchem sie leben, sie rastlos stört und bedrängt und durch jede Lebensäußerung nur noch mehr bewegt wird. V. 118. 126.