Uebersicht

Die Hölle.

Sechster Gesang.

1 Bei Rückkehr der Erinn'rung, die sich schloß
Vor Mitleid um die Zwei, das so mich quälte,

Daß das Bewußtsein mir vor Schmerz zerfloß 1-3

4 Erblickt' ich neue Qualen und Gequälte
Rings um mich her, ob den ob jenen Pfad,
Zum Geh'n und Schau'n sich Fuß und Auge wählte.
7 Dies war der dritte Kreis, den ich betrat, 7
Von ew'gem, kaltem, maledeitem Regen,
Von gleicher Art und Regel früh und spat,
10 Schnee, dichter Hagel, dunkle Fluten pflegen
Die Nacht dort zu durchzieh'n in wildem Guß;
Stank qualmt die Erde, die's empfängt, entgegen.
13 Ein Unthier, wild und seltsam, Cerberus, 13
Bellt, wie ein böser Hund, aus dreien Kehlen
Jedweden an, der dort hinunter muß.
16 Schwarz, feucht der Bart, die Augen rothe Höhlen,
Mit weitem Bauch, die Tatzen scharf beklaut,
Viertheilt, zerkratzt und schindet er die Seelen.
19 Sie heulen, wie die Hund' im Regen laut,
Und sie verschaffen sich durch öft'res Drehen

Auf einer Seite mindstens trockne Haut.

22 Der große Höllenwurm, der uns ersehen,
Riß auf die Rachen, zeigt' uns ihr Gebiß,
Und ließ kein Glied am Leibe stille stehen.
25 Virgil streckt' aus die offnen Händ' und riß
Erd' aus dem Grund, die in die gier'gen Rachen
Er alsogleich mit vollen Fäusten schmiß.
28 Wie's pflegt ein keifig böser Hund zu machen,
Deß Bellen schweigt, wenn er den Fraß erbeißt,
Der g'nügend war, die Wuth ihm anzufachen,
31 So jetzt mit schmutz'gen Schlünden jener Geist,
Der so durchdröhnt die armen Leidensmatten,
Daß jeder hoch beglückt die Taubheit preist.
34 Wir gingen über die gequälten Schatten,
Indem wir auf ihr Nichts, das Körper schien, 35
Im tiefen Schlamm gestellt die Sohlen hatten.
37 Sie lagen allesamt am Boden hin,
Nur einen sahn wir sich zum Sitzen heben,
Wie er uns dort erblickt' im Weiterzieh'n.
40 Er sprach: "Der du zur Hölle dich begeben,
Erkenne mich, dafern dir's möglich ist;
Du lebtest, eh' ich aufgehört zu leben."
43 Und ich zu ihm: ""Die Angst, in der du bist,
Zieht dich vielleicht aus meinem Angedenken;
Mir scheint, ich sahe dich zu keiner Frist.
46 Wer bist du? sprich, was konnte dich versenken
In eine Qual, die, giebt's auch größre Pein,
Nicht widriger kann sein, noch ärger kränken.""
49 "In eurer Stadt," so sprach er, "die allein
Der Neid erfüllt und bis zum Ueberfließen,
Genoß ich einst des Tages heitern Schein.
52 Ich bin's, den Ciacco eure Bürger hießen; 52
Zur Qual für schnöde Schuld des Gaumens muß,
Du siehst's, auf mich sich ew'ger Regen gießen.
55 Und mich allein nicht züchtigt dieser Guß,
Nein, Alle diese leiden gleiche Plagen
Für gleiche Schuld." - So seiner Rede Schluß.
58 Und ich: ""Mich haben, Ciacco, deine Klagen,
Zum Mitleid und zu Thränen fast gerührt.
Allein, wenn du es weißt, so magst du sagen,
61 Wohin noch unsrer Stadt Parteiung führt? 61
Ob wer gerecht ist, was in diesen Zeiten
In ihr die Glut der wilden Zwietracht schürt?""
64 Und Er darauf zu mir: "Nach langem Streiten 64
Kommt's dort zu Blut, dann treibt die Waldpartei
Die andre fort mit vielen Grausamkeiten.
67 Doch in drei Sonnen ist's mit ihr vorbei,
Neu günstig sind der andern die Gestirne,
Durch eines Mannes Macht und Heuchelei.
70 Hoch hebt sie dann auf lange Zeit die Stirne
Und drückt den Feind, ob auch zur Wuth empört,
Er sich beklag' und schäm' und sich erzürne.
73 Zwei sind gerecht dort, aber nicht gehört; 73
Neid, Geiz und Hochmuth - diese drei sind Gluten,
In deren Brand sich jedes Herz zerstört.
76 Als hier des Schatten Jammertöne ruhten,
Sprach ich zu ihm, ""noch weiteren Bericht
Erlaube mir, dir bittend anzumuthen.
79 Tegghiajo, Farinata, treu der Pflicht, 79
Arrigo, Rusticucci, Mosca - sage! -
Und Andre, nur auf wackres Thun erpicht,
82 Wo sind sie? welches ist ihr Loos? Ich trage
Verlangen, hier ihr Schicksal zu erspähn,
Ob's Himmelswonne sei, ob Höllenplage?""
85 Und Er:" Sie stürzte mancherlei Vergehn
Zu schwärzern Seelen nach den tiefern Gründen.
Steigst du so tief, so wirst du alle sehn -
88 Kehrst du zur süßen Welt aus diesen Schlünden,
Bring' ins Gedächtniß dann der Menschen mich.
Mehr sag ich nicht, mehr darf ich nicht verkünden."
91 Scheel ward sein grades Aug' und wandte sich
Nach mir; dann sank er mit dem Haupte nieder, 95
So daß er ganz den andern Blinden glich.
94 Drauf sprach mein Führer:" Nie erwacht er wieder,
Bis er vor englischer Posaun' ergraust,
Und der Gewalt, dem Sündenvolk zuwider.
97 Zum Grab kehrt Jeder, wo sein Körper haust,
Empfängt sein Fleisch zurück und die Gestaltung
Und hört, was ewig wiederhallend braust."
100 Wir gingen langsam fort in schwerer Haltung,
Durch's Kothgemisch von Schatten und von Flut,
Vom künft'gen Leben war die Unterhaltung.
103 Drum ich:""Mein Meister, wird der Qualen Wuth 103
Sich nach dem großen Urtheilsspruch vermehren?
Vermindert sich, bleibt sich nur gleich die Glut?""
106 Und Er:"Gedenk an deines Weisen Lehren,
So sehr ein Ding volkommen ist, so sehr
Wird sich's im Glücke freun, im Schmerz verzehren.
109 Und kann gleich der Verdammten zahllos Heer
Vollkommenheit, die wahre, nie erringen,
So harrt es doch in jener Zeit auf mehr."
112 Wir fuhren fort, im Kreise vorzudringen,
Mehr sprechend, als zu sagen gut erscheint,
Bis hin zum Platz, wo Stufen niedergingen,
115 Und fanden Plutus dort, den großen Feind.

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Siebenter Gesang

Erläuterungen:

1 - 3 Dante beschreibt nicht, wie er vom zweiten Kreise in den dritten gekommen, wahrscheinlich um anzudeuten, daß er auch nach seinem Erwachen von der Ohnmacht sich noch zu tief erschüttert gefunden habe, als daß er auf den Weg Achtung hätte geben sollen. Erst die neuen Strafen ziehen seine Aufmerksamkeit auf sich.

7 Hier im dritten Kreise finden wir die Schlemmer ewigem Regen ausgesetzt, der nichts erzeugt, als ekelhaften Schmutz, in welchem sie versinken. Erheben sie sich auch einen Augenblick, doch fallen sie bald wieder zurück, und zwar zuerst mit dem Haupte, dem Sitze der geistigen Kraft, welche durch wüste Schwelgerei unterdrückt und zu Boden gezogen wird. (V. 91 - 93.)

13 Cerberus mit seinem dreifachen Schlunde, seinem weiten Bauche und seiner hündischen Natur überhaupt, stellt selbst ein Bild des Lasters dar, das hier bestraft wird, und der Begier, die schon im Leben den Schlemmer selbst bestraft (vergl. V. 24. 31 - 33). Der Schlamm, welchen Virgil ihm V. 25 in den Rachen wirft, deutet auf den Werth dessen hin, worin die Schlemmer im Leben ihre Befriedigung finden.

35 Wir haben oben bei Gesang 3 V. 34 bemerkt, wie Dante die Entstehung des Scheinleibes oder Schattens erklärt, durch welchen die Geister sich dem Auge erkennbar zeigen. Diesem entspricht auch im obigen Verse die Bezeichnung desselben als ein Nichts, das Körper scheint. Indessen werden wir in diesem ersten Theile Manches finden, was jener Erklärung zu widersprechen und auf eine wirkliche materielle Körperlichkeit hinzudeuten scheint. So hebt Virgil dem Dichter empor, hält ihm die Augen zu, umschließt ihn bei Heruntergleiten vom Abhange; Dante selbst reißt einem Schatten die Haare aus. Dies scheint also darauf hinzudeuten, daß in der Hölle die Geister sich von der Erde nicht ganz haben losmachen können, daß sie noch mit gröberen Stoffen verbunden sind. Im Fegefeuer dagegen verfeinert sich dieser Scheinleib. Dante, der den Casella dreimal umarmen will, kehrt dreimal mit den Armen zur Brust zurück (Ges. 2 V. 80). Im Paradiese endlich ist kaum noch von einer Gestalt die Rede, da alle Seelen vom Lichte ihrer Wonne umgeben sind. Indessen bleibt sich der Dichter hierin nicht ganz treu, und wir werden in künftigen Bemerkungen auf einige Widersprüche aufmerksam machen.

52 Ciacco soll nach einige Auslegern ein Florentiner von trefflichen Einfällen und ein guter Gesellschafter gewesen sein, wie Boccaccio einen Mann gleichen Namens und Schlages in der achten Novelle des neunten Tages beschreibt. Nach Andern hat Ciacco nichts weiter als ein Schwein bedeutet, und ist ein allgemeiner Ehrenname der Schmarotzer gewesen.

61 Wir werden den Dichter oft die politischen Verhältnisse seiner Zeit und besonders die seines Vaterlandes berühren sehen, und das hat wohl zu den neuen Deutungen Veranlassung gegeben, durch welche dem ganzen Werke ein politischer Zweck hat untergelegt werden sollen. Allein derjenige, der alle Verhältnisse der Menschheit in ihrer Rückwirkung auf den innern Menschen umfassen und sie durch einzelne Beispiele erläutern wollte, konnte wohl eins der wichtigsten, auf die allgemeine sittliche Bildung einflußreichsten, das Verhältniß des Menschen im Staate und zum Staate, nicht unerörtert lassen. Und wenn er darauf öfter, als auf jedes andere zurückkommt, so beweiset er als Dichter, daß ihn als Menschen dieses Verhältniß am gewaltigsten gefaßt hatte. Bedenken wir, wie in unsern Tagen die öffentlichen Verhältnisse fast jeden Gedanken auf sich ziehen und alles Andere zurückdrängen; vergleichen wir unsere Zeit mit der des Dichters, in welcher die roheste Gewalt auf jeden Einzelnen eindrang, sobald der geordnete Zustand irgend gestört war, - erwägen wir, daß er selbst das Opfer der politischen Umwälzungen wurde; so wird es uns nicht befremden, daß er so oft auf sie zurückkehrt. Wir werden vielmehr die Vielseitigkeit seines Geistes und die Stärke seines Charakters darin erkennen, daß er nicht ganz in jenen Verhältnissen unterging und sich mit solcher Kraft, Klarheit und Freiheit über alles Andere zu verbreiten im Stande war.

64 Woher den Schatten die Fähigkeit kommt, Künftiges vorauszusehen, erfahren wir nicht genauer, wenn auch Ges. 10 V. 100 über diese Fähigkeit gesprochen wird. Die Weißen (die Waldpartei) behielten nach der Zeit, in welche Dante seine heilige Reise verlegt, die Oberhand, bis Karl von Anjou, der V. 69 bezeichnet ist, sie in den Jahren 1302 und 1303 verbannte. (S. die Einleitung). Diese Stelle ist als Beweis gegen die Vermuthung aufgestellt worden, daß Dante die sieben ersten Gesänge vor seiner Verbannung gedichtet habe. Da sie aber leicht später eingeschaltet worden sein kann, so beweist sie nicht, was sie soll.

73 Wer unter den zwei Gerechten verstanden sei, ist nicht mit Gewißheit auszumitteln.

79 Farinata ist bereits in der Einleitung erwähnt. Auch werden wir ihn und die anderen her Benannten tiefer in der Hölle wiederfinden. Das Lob, das ihnen hier ertheilt wird, kann sich wohl nur auf die Rechtlichkeit ihres politischen Benehmens beziehen, welche sie nicht gegen die Strafe für andere Vergehungen hat schützen können.

95 Bis zum Welgericht. Die Gewalt, die den Sündern zuwider (feindlich) ist, ist die des ewigen Richters.

103 Nach dem großen Urtheilsspruche beim Weltgericht werden die Geister ihre Körper wieder erhalten. Sie werden also dann in der Verbindung beider Bestandtheile des Menschen, des Leibes und der Seele, vollkommener als jetzt, da sie nur Schatten sind, eben darum auch nach der Lehre des Meisters, des Aristoteles, größern Schmerz zu empfinden fähig sein. Auch die Verdammten erwarten dann vollkommener zu werden, folglich mehr zu leiden, da sie die wahre Vollkommenheit nicht erreichen können.